Ein Defekt an der Bewässerungsanlage brachte vor Kurzem die Berliner Polizei auf die Spur einer professionell betriebenen Aufzuchtanlage mit 450 Hanf-Setzlingen.
Nachbarn hatten einen Wasserschaden gemeldet. In Berlin wird immer mehr Cannabis im großen Stil angebaut: in der Wohnung, auf dem Balkon oder im Keller.
Egal, ob mehr als 100 Hanfpflanzen in einer Scheune oder nur zehn auf dem Balkon – Cannabisanbau ist eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz
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Von Axel Lier
Der Wintergarten im Hof kam den Nachbarn komisch vor. Aus dem Anbau und der angrenzenden Parterrewohnung in der Neuköllner Leinestraße drang süßlich-würziger Geruch. Niemand der Nachbarn sprach den 43-jährigen Mieter Detlef H. auf den aufgebrochenen Stromzähler an. Erst als Polizisten bei ihm klingelten, wurde bekannt: Detlef H. ist ein Cannabisbauer. Einer von Tausenden in Berlin, die in den eigenen vier Wänden Hanf – im Szenejargon „Gras“ – züchten. Zum Eigenbedarf. Aus Angst vor gestrecktem Marihuana.
Zuwachs vor allem bei kleinen Plantagen
Hanfplantagen im Wohnzimmer – ein Trend, der vor allem dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) aufgefallen ist. Aus der Behörde heißt es, dass es im Bereich kleinerer Hanfplantagen (bis zu 100 Pflanzen), die von den Konsumenten oft für den Eigenbedarf angebaut werden, ernorme Zuwächse gebe. Im Jahr 2006 hatten Ermittler lediglich 16 solcher Anbauflächen entdeckt. „Für das vergangene Jahr haben wir allerdings eine deutliche Steigerung festgestellt „, sagte Rüdiger Engler, Leiter des Rauschgiftdezernates im LKA.
Auch bei Kleinstplantagen mit bis zu 15 Pflanzen – typische Balkon- und Fensterbankzuchten – sei im vergangenen Jahr eine Zunahme festgestellt worden. 2006 stießen die Beamten bereits auf 176 dieser Plantagen. Eine Stagnation sei hingegen im Bereich der entdeckten Großplantagen (über 100 Pflanzen) festzustellen. „Im Jahr 2006 hoben wir davon 22 Anbauflächen aus“, so Rüdiger Engler. Genaue Zahlen für das Jahr 2007 könne er mit Rücksicht auf die baldige Veröffentlichung der Kriminalitätsstatistik nicht bekannt geben. Aber: „In Berlin geht der grüne Daumen um“, so der Ermittler ironisch.
Grund für die verstärkte heimische Anbautätigkeit könnte eine zunehmende Verunreinigung des Marihuanas auf dem illegalen Straßenmarkt sein. Mit Blei versetztes Gras ist momentan vor allem in Leipzig und Umgebung im Umlauf. Dealer nutzen Bleistaub, um das Gewicht ihrer Betäubungsmittel zu erhöhen, damit höhere Umsätze zu erzielen sind. Über 122 Leipziger wurden bislang in Krankenhäuser eingeliefert, weil sie das mit Blei versetzte Marihuana geraucht hatten.
Cannabisanbau ist eine Straftat
Auch in Berlin ist das Strecken von Marihuana nichts Ungewöhnliches. Dezernatsleiter Rüdiger Engler: „Blei ist noch nicht in Erscheinung getreten. Aber wir hatten Fälle, in denen Glasgranulat und Glasschrot verwendet wurde. Das Marihuana wird auch mit Talkumpulver, Ingwer, Weizenmehl und Nasigoreng gestreckt“. Das wissen die Ermittler aus Untersuchungen: Ab fünf Gramm Gras aufwärts werde der Stoff im Labor unter die Lupe genommen, um den Wirkstoffgehalt zu untersuchen.
Egal, ob mehr als 100 Hanfpflanzen in einer Scheune oder nur zehn auf dem Balkon – Cannabisanbau ist eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz. Deshalb rückten Ende im Januar mehr als 1600 Polizeibeamte bundesweit aus und durchsuchten 235 Wohn- und Betriebsräume von Hobbygärtnern. Es wurden mehr als 5500 Hanfpflanzen gefunden; 40 Personen gingen vorübergehend in Haft.
In Berlin richteten sich die Ermittlungen gegen einen 53-Jährigen in der Elsterstraße in Neukölln. In seiner Wohnung fanden die Beamten rund 50 Cannabispflanzen, 50 Setzlinge und 260 Gramm Marihuana. In Spandau hatte ein 28-jähriger Kiffer in einer Wohnung an der Bismarckstraße elf Pflanzen angebaut. Anlass der Razzia war die Kunden-Datei eines sogenannten Grow-Shops. Die Aachener Firma „Catweazel“ soll Zubehör zur Einrichtung von professionellen Cannabis-Plantagen veräußert haben. „Wir verkaufen Gewächshaustechnik“, sagt Geschäftsführer Eddy Meuter (43). Er vermute zwar, dass die Technik von Kunden überwiegend zum Hanfanbau benutzt werde. „Aber es wird immer wieder von uns darauf hingewiesen, dass der Hanfanbau in Deutschland genehmigungspflichtig ist“, so Meuter. Die Polizei hatte offenbar trotzdem über mehrere Monate heimlich die Internet-Kundenbestellungen des Händlers aufgezeichnet.
Die Hanfgemeinde ist empört
Die Hanfgemeinde ist empört. Georg Wurth vom Deutschen Hanf Verband: „Die Polizei erreicht mit ihrer Aktion vor allem, dass sich die Konsumenten wieder verstärkt auf dem illegalen Markt mit Cannabis eindecken werden. So unterstützt die Polizei genau die großen Fische, auf die sie es angeblich abgesehen hat.“ Da in den vergangenen Monaten vermehrt gestrecktes Cannabis aufgetaucht sei, sei der Anbau von Hanfpflanzen für viele Konsumenten die einzige Möglichkeit, sich vor gesundheitsgefährdenden Streckmitteln zu schützen.
Zu diesem Argument hatte sich kürzlich sogar die Bundesregierung geäußert: Kiffer, die Angst vor verunreinigtem Cannabisprodukten hätten, weil sie ihre Gesundheit erheblich schädigen, sollten eben auf den Konsum von Cannabis überhaupt verzichten.
Stand: Donnerstag, 14. Februar 2008, 16:31 Uhr
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