Von Marcus Wohlsen
Es klingt paradox: Eine Substanz, die Krebspatienten therapeutisch nutzen, soll Tumore hervorrufen. Die Rede ist von Marihuana. Die Hanfblüten dürfen in Kalifornien seit 1996 medizinisch verwendet werden. Vor allem Krebs- und HIV-Patienten nehmen die Droge, um Schmerzen zu lindern und den Appetit anzuregen
Wie gefährlich ist Cannabis wirklich?
Den beim Rauchen entstehenden Qualm stuften kalifornische Behörden kürzlich als krebserregend ein. Damit müssen Verteilungsstellen und Verpackungen künftig auf diese Gefahr hinweisen. Krebsauslösende Stoffe müssen in Kalifornien seit mehr als 20 Jahren registriert werden.
Die Liste ist inzwischen auf fast 800 Substanzen angeschwollen und enthält neben Marihuana auch Benzin, das etwa in Pommes Frites steckende Acrylamid oder den Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS). Kritiker monieren, die Zahl der Substanzen sei inzwischen so umfangreich, dass Verbraucher sie nicht mehr ernst nähmen.
Aber gerade bei Marihuana sorgt die Entscheidung der kalifornischen Behörden für Unmut. Befürworter des medizinischen Einsatzes von Cannabis verweisen darauf, dass schon lange bekannt sei, dass der Qualm krebserregende Stoffe enthält. „Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Karzinogene in Cannabisrauch irgendeine kausale Beziehung zu Krebs haben“, sagt Kris Hermes, Sprecher der Gruppe Americans for Safe Access.
33 gefährliche Stoffe
Behördenvertreter widersprechen. Das Amt zur Einschätzung von Umweltgefahren habe 27 Studien ausgewertet, die die Krebsgefahr durch Marihuana analysierten. Zwar stießen nicht alle Untersuchungen auf ein erhöhtes Risiko, aber: „Wissenschaftlich geprüfte Tests haben gemäß allgemein akzeptierter Grundlagen eindeutig gezeigt, dass Marihuana-Rauch Krebs verursacht“, heißt es in einer Erklärung der Behörde.
Dieser Befund dürfe niemanden überraschen, betont der Leiter des zuständigen Ausschusses, Thomas Mack. „Wenn man ein Stück Pflanze nimmt, etwa ein Blatt, und es verbrennt, bekommt man jene Art von Stoffen, die Krebs erzeugen“, sagt der Epidemiologe der Universität von Südkalifornien. Verbrannter Cannabis enthält demnach 33 gefährliche Stoffe, die auch im Tabakrauch stecken.
Allerdings räumt Mack ein, dass die derzeitige Datenlage auf eine Verbindung zwischen Marihuana und Krebs bei Menschen lediglich hindeute. Eindeutige Befunde lieferten demnach bislang nur Studien, in denen Tiere extrem hohen Mengen von Hanfschwaden ausgesetzt wurden.
Diese Zigarettenschachtel-Motive sollen schockieren – und abschrecken. Viele Prominente haben Probleme mit Drogen.
Kritiker bemängeln weitere Schwachpunkte: Zwei der drei Studien, die beim Menschen einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Lungenkrebs belegen, stammen aus Nordafrika. Aber dort wird die Droge – wie übrigens auch in Europa – gewöhnlich vor dem Rauchen mit Tabak vermischt. Gesundheitsbewusste Amerikaner inhalieren das Kraut dagegen ausschließlich pur.
Im Jahr 2006 kam eine große US-Studie zu dem Schluss, dass ein solcher Konsum das Tumorrisiko nicht erhöht, möglicherweise sogar senkt. „Wenn man Marihuanarauch als krebserregend einstufen will, kann man das tun, denn er enthält Karzinogene“, sagt Donald Tashkin, der die Studie damals an der Universität von Kalifornien in Los Angeles leitete. „Aber das heißt nicht, dass er auch Krebs verursacht.“
Diesen vermeintlichen Widerspruch erklärt Tashkin damit, dass Marihuana nicht nur Karzinogene enthält, sondern eventuell auch Stoffe, die vor Krebs schützen und den schädlichen Effekt wettmachen. Dies ist zwar keineswegs erwiesen, aber manche Befürworter nutzen Tashkins Studie als Beleg für die Behauptung, die Droge senke gar die Tumorgefahr.
„Es ist nie gut, Rauch einzuatmen“
Der Arzt Frank Lucido aus Berkeley empfiehlt Patienten Cannabis, seit die Droge vor 13 Jahren in Kalifornien zugelassen wurde. Von dem therapeutischen Potenzial ist der Mediziner so überzeugt, dass er inzwischen als Vizepräsident der kürzlich gegründeten American Academy of Cannabinoid Medicine fungiert, einem Ärzteverband, der den Marihuana-Einsatz erforscht. Trotz der behördlichen Warnung will Lucido Patienten auch weiterhin zu der Droge raten. Aber er wird empfehlen, sie in anderer Form zu konsumieren, etwa oral oder durch sogenannte Vaporizer. Diese Geräte ziehen heiße Luft durch die Pflanzenmasse, so dass sich die Wirkstoffe inhalieren lassen, ohne dass sie verbrennen. „Eins ist klar“, sagt Lucido: „Es ist nie gut, Rauch einzuatmen, wenn es sich vermeiden lässt.“