Kiffen fürs Gemeinwohl
In der Staatskasse von Kalifornien klafft ein riesiges Loch. Nun wollen einige Abgeordnete die Haushaltskrise überwinden, indem sie Marihuana legalisieren
Angesichts eines Lochs von 24 Milliarden Dollar im kalifornischen Haushalt ist offensichtlich keine Lösung zu abwegig. So inspirierte das Problem den frisch gebackenen Abgeordnete Tom Ammiano zu einem Gesetzesentwurf, der fordert, Marihuana künftig praktisch wie Alkohol zu behandeln. Ähnliches versucht eine Initiative für einen Volksentscheid, der für 2010 zur Diskussion steht. Und dann hat noch der demokratische Senator Jim Webb vorgeschlagen, in Washington eine Kommission zur Untersuchung des Strafjustizsystem einzusetzen, die sich unter anderem mit der Drogenpolitik beschäftigen soll.
In normalen Zeiten würde der Gedanke an eine Legalisierung von Gras trotz einiger dafür sprechender Fakten und Statistiken niemals ernst genommen. In Zeiten jedoch, in denen Protestmärsche gegen Kürzungen von Sozialleistungen für Behinderte vor das Ronald-Reagan-Building in Los Angeles ziehen, lässt die Aussicht auf zusätzliche 1,3 Milliarden Dollar Staatseinnahmen pro Jahr diese Idee deutlich attraktiver erscheinen. Zwar würde eine Steuer auf den Marihuana-Konsum nicht alle Haushaltsprobleme lösen, zwar würden die Einnahmen nicht sofort fließen, doch würde die Steuer helfen, wichtige Leistungen während künftiger Krisen zu erhalten. Halblegaler Rausch Die Einstellung der US-Amerikaner zur Legalisierung scheint sich zu wandeln – nach jüngsten Umfragen befürwortet mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Plan. Das Problem ist nur, dass die wichtigsten Leute in Sacramento oder Washington in den Umfragen nicht auftauchen: die Lobbyisten. So spielen einflussreiche Interessengruppen den Vorschlag schon jetzt als Versuch herunter, „ein weiteres“ Rauschmittel gesellschaftsfähig zu machen. Darüber hinaus verbietet das Bundesrecht nach wie vor sogar den Anbau von Marihuana zu medizinischen Zwecken, obgleich Abgeordnete immer wieder dazu aufgerufen haben, das Bundesrecht an die Regelung von Staaten wie Kalifornien anzugleichen. Wenngleich in den USA eine Strafverfolgung durch Bundesbehörden generell weniger wahrscheinlich ist als durch die Organe der einzelnen Staaten, und Präsident Barack Obama Sympathien für eine Reform der Drogenbekämpfungsbehörde DEA bekundet hat, stellt das Bundesrecht ein ernsthaftes Hindernis für Legalisierungsversuche dar. Ammiano jedoch ist überzeugt, dass die Obama-Regierung einer gemäßigten Position zuneigen wird – und dass der Konflikt der Gesetze zu einem gesunden Dialog führen könnte, der sich die Grauzone zwischen dem Recht des Bundes und dem der Bundesstaaten zu Nutze machen würde. In jedem Fall würde dieses Wagnis die Haftbarkeit der Konsumenten begrenzen, und in einigen Fällen könnte der Konflikt zwischen den Gesetzen als Verteidigungsstrategie dienen, die den Geschworenen ermöglicht, einen Freispruch zu beschließen.
Der Schwarzhandel blüht Ohne Zweifel wird Ammiano in Sacramento auf starken Widerstand aus den Reihen derjenigen stoßen, die keinen politischen Gewinn darin sehen, Gras zu legalisieren oder einen Dialog mit den Bundesbehörden zu erzwingen. Dieser Widerstand ist aber nicht unüberwindbar. Tatsächlich unterstützen viele Konservative die Legalisierung, da sie den liberalen Prinzipien des „limited government“, der gesetzlichen Begrenzung der Staatsmacht, anhängen. Die meisten Menschen, die mit Fakten zu überbelegten Gefängnissen, zu Prioritäten im Gesetzesvollzug und zur Bekämpfung des Schwarzmarktes konfrontiert werden, stehen der Legalisierung von Gras weniger ablehnend gegenüber als einem Thema wie Abtreibung. Die Menschen sind durchaus bereit, sich überzeugen zu lassen, vorausgesetzt es gibt jemanden, der sich für eine Sache einsetzt. Nicht nur unter dem Aspekt der zusätzlichen Einnahmen betrachtet, ist es sinnvoll, Marihuana nicht wie andere Drogen zu behandeln. Die Abhängigkeitsrate von Marihuana liegt niedriger als die von Alkohol. Und eine Rekordzahl von Amerikanern ignoriert ohnehin die Gesetze in Bezug auf Marihuana. Als die Amerikaner zum letzten Mal das Verbot eines Rauschmittels missachteten, entstand ein riesiger Schwarzmarkt, der mit der Zunahme des organisierten Verbrechens so berüchtigte Gestalten wie Al Capone hervorbrachte. Auch wenn die Abstinenzbewegung von guten Absichten getragen war, scheiterte sie in vieler Hinsicht. Heute nähren die Einkünfte aus dem Drogenhandel die mexikanischen Drogenkartelle, die sich nahe der US-Grenze bekriegen. Eine Legalisierung würde die Drogenverkäufe der Kartelle stark einschränken, denn nur wenige Amerikaner würden illegales Gras kaufen, wenn es eine unkompliziert erhältliche, legale Alternative gäbe. Volle Gefängnisse, leere Kassen Und dennoch, obwohl die finanzielle Landschaft und die Einstellung in der Bevölkerung sich verändert, weigern sich viele Politiker über Legalisierung auch nur zu reden, und propagieren weiterhin den Drogenkrieg. Ernsthafte Unterstützung für den Plan findet sich fast nur innerhalb akademischer Kreise, die anders als Politiker nicht der Gefahr ausgesetzt sind, illegalen Aktivitäten gegenüber zu nachgiebig zu erscheinen. Lobbys hingegen sind geschickt darin, Wählerinitiativen und Gesetzesentwürfe zu durchkreuzen. Mit Blick auf den finanziellen Schlamassel in Kalifornien und auf die Geschwindigkeit, mit der Washington Geld druckt, wird jedoch deutlich, dass die Zeit für politische Spiele vorbei ist. Auch wenn es leicht fällt, Witze zu reißen und das Thema auf Klischees zu reduzieren, handelt es sich dabei um einen Denkfehler, durch den Geld verschleudert, Gefängnisse gefüllt, auf Staatseinnahmen verzichtet und einen Schwarzmarkt angekurbelt wird. Ab einem gewissen Punkt sind es nicht länger die Kiffer, die sich durch ein Höchstmaß an Unverantwortlichkeit auszeichnen. Es sind die Politiker und Lobbys, die es vorziehen, Programme für Behinderte zu streichen, anstatt über die Legalisierung und Besteuerung von Marihuana nachzudenken.