Growland im Keller: Wo früher «Duftsäckli» verkauft wurden, schreitet heute die Polizei schon wegen Samen ein. (Adrian Moser)
Es ist still geworden um die Kiffer und Hanflädeli. Der vorläufig letzte Höhepunkt in der Legalisierungsfrage war die Ablehnung der Hanf-Initiative im Herbst letzten Jahres. Füllten auch in der Stadt Bern vor Jahren Razzien gegen Hanfläden noch ganze Zeitungsseiten und gaben Anlass zu Kommentaren auf der Frontseite, so wurde die (bislang) letzte Schliessung des Berner Hanfladens Growland im vergangenen Oktober in einer kurzen Notiz vermeldet.
Das «Growland» kann als Exempel für die Berner Hanfgeschichte herangezogen werden: 1993 gegründet, verkaufte es wenig später sogenannte «Duftsäckli», was schweizweit kopiert wurde. Die Verkäufer glaubten, eine Gesetzeslücke entdeckt zu haben. Statt Betäubungsmittel verkaufte man ein Wellness-Produkt, von dem alle wussten, dass es zu Hause zu Joints verarbeitet und nicht als Duftmarker ins Bad gehängt wurde. Bald machte das «Growland» grosse Umsätze mit Outdoor-Hanf, also Hanf, der im Freien gezogen wurde. In anderen Hanflädeli war es auch möglich, Indoor-Hanf zu kaufen, der viel stärker ist und unter Kunstlicht aufgezogen wird. «Vielen Konsumenten war wohl nicht klar, dass Hanf trotzdem illegal war», sagt Alec von Graffenried heute. Er war von 2000 bis 2007 Berner Regierungsstatthalter und befürwortete 2002 die Schliessung von Hanfläden, obwohl er als Grüner auch für die Liberalisierung des Betäubungsmittelgesetzes war. «Die ganze Romandie kaufte in Bern ein, es war mir völlig klar, dass es so nicht weitergehen kann.» Altstadtbewohner erinnern sich vielleicht noch an die jungen Welschen, die samstags nach dem Weg zum nächsten Hanflädeli fragten.
Von der Blüte zum Rauch
Andrea Stafforte, der zu zwei Jahren Gefängnis verurteilte Besitzer des «Growland» (bis 2007), hat vor Kurzem eine Erklärung in «eigener Sache» an die Medien verschickt. Darin kämpft er für die Legalisierung von Hanf, gegen jegliche Behörden und ruft zum Spenden auf für seinen Auftritt vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Die Bestätigung seiner Verurteilung durch das Bundesgericht am 26. August 2009 empfindet er als falsch. Zurzeit weilt Stafforte in Nepal, wo er sich um sein Hilfsprojekt kümmert. Den Marschbefehl ins Gefängnis hat er noch nicht bekommen.
Während Stafforte in der Blüte der Hanflädeli und der Debatte um die Liberalisierung aktiv war, stellt man heute fest: Das Thema ist tot. Die grosse Zeit erlebten die Freunde der Hanflegalisierung zwischen 2000 und 2002. Seither hat ein gesellschaftlicher Meinungsumschwung dafür gesorgt, dass sich das Thema in Rauch aufgelöst hat. Vor wenigen Jahren noch florierte der illegale, aber von den Behörden tolerierte Handel in Hanfläden. Zur Spitzenzeit gab es laut von Graffenried bis zu 40 Hanfläden in Bern, die grössten erzielten nach seiner Schätzung mehrere Millionen Franken Umsatz pro Jahr.
Erste Razzien – Läden weiter offen
Im Juli 2000 fand in Bern erstmals in sieben Hanfläden eine Razzia statt. Stafforte sagte dazu im «Bund»: «Das ist der erste Besuch der Behörden seit der Eröffnung im Jahr 1993.» Die Razzia wurde mit einem Bundesgerichtsurteil vom März 2000 begründet. Das Bundesgericht stufte jeglichen Hanf mit einem THC-Wert von über 0,3 Prozent als illegal ein. Bei der Razzia beschlagnahmte die Polizei Hanfblüten, deren THC-Gehalt geprüft wurde. Im August der Befund: Die Blüten enthielten zwischen einem und 17 Prozent des Wirkstoffs THC. «Damit wurden Strafverfahren wegen illegalen Betäubungsmittelhandels eingeleitet», sagt von Graffenried. Die Behörden sahen jedoch vorerst noch davon ab, Läden zu schliessen. Der «Bund» schrieb damals, die Razzien stünden im Widerspruch zur aktuellen Entwicklung: SP, FDP und CVP seien für eine Legalisierung von Hanf. Im September titelte man sogar: «Bald legal – aber immer noch heiss umstritten.» Weiter unten stand: «Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Kiffen straffrei wird.»
Trotz dieser ersten Repressionswelle zeigten sich Hanfladen-Besitzer weiterhin zuversichtlich. Im Mai 2001 wagten sich neue Betreiber von Hanflädeli an die Öffentlichkeit; Mitte des Jahres gab es in Bern bereits zwischen 15 und 20 Verkaufsstellen, die auf das verkaufte Gras zumeist auch Steuern bezahlten.
Ständerat für Legalisierung
Die Politik schritt auf nationaler Ebene scheinbar vorwärts: Der bürgerlich dominierte Ständerat sprach sich überraschend deutlich für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes aus und damit für die Legalisierung des Konsums, des Handels und des Anbaus von Hanf, wenn auch unter Auflagen. Angesichts von je nach Schätzung zwischen 500 000 und 700 000 Kiffern in der Schweiz nicht erstaunlich. Stafforte dazu: «Wir verkauften zirka 500 Kilogramm Hanf pro Jahr und hatten Kunden bis ins Bundeshaus.» Verschiedentlich seien Polizisten vorbeigekommen. Wenn sie nicht gerade als Kunden, sondern offiziell da waren, hätten sie die Verkäufer im «Growland» ermahnt, nichts an unter 18-Jährige abzugeben. «Bei uns standen die Leute teilweise bis auf die Gasse Schlange. Wir beschäftigten einen Security draussen, der sicherstellte, dass Jüngere nicht Über-18-Jährige zum Kauf von Hanf nach drinnen schickten», erzählt Stafforte.
Wegen dieses Grosshandels wurde das «Growland» denn auch zweimal geschlossen. Jetzt ist das «Growland» wieder zu. Laut Regierungsstatthalteramt, weil Hanfsamen verkauft wurden. «Die Hanfsamen wurden zu einem sehr hohen Preis angeboten und dienten zur Aufzucht von Pflanzen zum Betäubungsmittelkonsum», sagt Anne-Marie Jäggi, Leiterin Rechtsdienst beim Regierungsstatthalteramt Bern. Nach der 0,3-Prozent-Grenze beim Hanf gilt nun offensichtlich bereits der Verkauf von Samen als strafrechtlich relevantes Delikt.
Das Wendejahr 2004
Bereits im Juli 2002 bröckelte die tolerante Haltung gegenüber den Hanfläden stark. Regierungsstatthalter Alec von Graffenried gab bekannt, dass er die Hanfläden schliessen wolle, obwohl er für die Legalisierung sei. Heute sagt von Graffenried, die Dimensionen seien einfach zu gross geworden und die Gefährlichkeit habe zugenommen. «In Basel gab es damals eine drei Tage dauernde Entführung eines Hanfladen-Verkäufers.» Solche Zustände habe er in der Stadt Bern verhindern wollen. In der politischen und medialen Diskussion war von Graffenried damals ein Aussenseiter. Das änderte sich aber bald.
2004 war wahrscheinlich das Wendejahr in der Frage der Hanflegalisierung. Damals beschloss der Nationalrat zum zweiten Mal, auf die Gesetzesvorlage aus dem Ständerat nicht einzutreten. Noch im Herbst 2003 glaubten die Befürworter an eine Mehrheit im Nationalrat. Doch weil im November Wahlen anstanden, verschob der Nationalrat die Debatte auf 2004. Der «Bund» kommentierte: «Das Verbot löst kein Problem. Es ist irrational und nicht liberal.» Kurz vor der Abstimmung im Nationalrat 2004 war der Meinungsumschwung zu spüren. Schulische und psychologische Probleme der Jugendlichen wurden vermehrt diskutiert. Lehrer und Elternverbände sowie Gesundheitspolitiker meldeten sich kritisch zu Wort.
Im Juni das Verdikt: Der Nationalrat schickte die Vorlage in die Versenkung und die Hanffreunde beschlossen die Lancierung einer Initiative. Im Dezember 2007 wurde auch die Initiative im Nationalrat abgelehnt. Der frühere, repressive Statthalter, Alec von Graffenried, sagte im Nationalrat: «Das Verbot ist ein Fossil der Gesetzgebung.» Tatsächlich erwies sich die Legalisierung als ein Fossil des Zeitgeistes. Vor einem Jahr lehnte sie auch das Schweizer Stimmvolk ab.
Vermischung mit harten Drogen
Seit die Hanfläden in Bern und anderswo geschlossen wurden, hat sich der Handel wieder auf die Strasse verlagert: «In Bern findet der Handel vor allem auf der Münsterplattform, der grossen Schanze und vor der Reithalle statt», sagt der Berner Michael Mosimann, Vorstandsmitglied der Schweizerischen Hanfkoordination.
Das habe zwei verheerende Folgen: Erstens kämen Jugendliche so mit harten Drogen in Kontakt und zweitens sei die Qualitätssicherung nicht mehr gewährleistet: «Hanf wird neuerdings mit allem möglichen gestreckt: Darunter Bleisulfat, Kadmium, Asbestfasern, Vogelsand und so weiter.» In Deutschland sei schon jemand wegen einer Bleisulfat-Vergiftung ins Spital eingeliefert worden, sagt Mosimann. Die Untersuchungen zu den Inhaltsstoffen würden vor allem vom deutschen Hanfverband durchgeführt. Laut Mosimann ist aber klar, dass gestrecktes Gras längst in der Schweiz und in Bern angekommen sei.
Quelle: derbund.ch