„Outdoor“-Anbauer wie Stefan K. ziehen ihr Hanf in der freien Wildbahn hoch. Das Risiko ist hoch – doch die Ernten sind ertragreicher als beim Anbau in den eigenen vier Wänden. VON KONSTANTIN RIFFLER
Durch dichtes Buschwerk geht es zu einem der früheren Anbauplätze von Stefan K. (Name geändert). Vorbei an Brennnesseln und einem umgestürzten schmalen Baumstamm, hinter dem eine schmale Vertiefung erkennbar wird, ein überwuchertes Bachbett. Hinter einem Busch öffnet sich auf einmal eine kleine Lichtung. Aus dem Boden ragen einige trockene Stängel wenige Zentimeter über dem Boden, Überreste seiner im letzten Herbst geernteten Pflanzen: Cannabis sativa. Seit vierzehn Jahren baut Stefan K. „outdoor“ an.
Durban Possion, Mexican Sativa, Purple Power, Guerillas Gusto und Super Skunk. Diese Namen klingen nach Verlockung, nach Illegalität, nach Hiphop und manchmal nach dem, was es ist: einem Rauschgift. Es sind die Namen der Marken, die Stefan K. anbaute.
Die größte Herausforderung für den 28-Jährigen ist es, einen Ort zu finden, der weder von der Polizei noch von Spaziergängern entdeckt wird. In der Regel liegt der deshalb am Rande von Waldgebieten. Aber auch inmitten der Stadt, versteckt in einem Industriegebiet und auf verwilderten Privatgrundstücken hat Stefan K. schon angebaut: „Zwei Plätze müssen es mindestens sein, um das Risiko zu halbieren. Für den Fall, dass eine Ernte ausfällt“, sagt er. Wildschweine und Rehe sind die natürlichen Feinde der „Grower“. Schlimmer noch sind Schnecken und andere Anbauer. Schnecken können eine Ernte an einem Tag komplett vernichten: sie fressen die jungen Pflanzen auf oder durchtrennen den Stiel. Andere Anbauer stehlen die gesamte Ernte, wenn sie Monate zuvor bei der Suche nach einem eigenen Platz auf ein anderes Feld gestoßen sind. Passiert ist Stefan K. das nur einmal, zwanzig Pflanzen hat er damals über Nacht verloren. Solidarität gibt es in dem Geschäft keine.
Feldforschung per Google Maps
Meistens sucht er Anbauplätze in Gegenden, in denen er einmal spazieren war. Aber nicht nur die Erinnerung, auch das Internet kommt zum Einsatz: Mit Google Earth sucht er bewaldete Gebiete nach lichten Stellen ab. Wenn er den richtigen Ort gefunden hat, schafft er mit Schaufel und Machete eine Rodung, denn ausreichend Raum und Sonnenlicht sind neben der Qualität der Erde die Grundvoraussetzungen für eine große Ernte.
Unter Sonnenlicht werden die Sträucher größer als in den eigenen vier Wänden, in denen das Wachstum oft schon aufgrund des Platzmangels auf Grenzen stoßt. „Plätze, die so sehr verwildert sind, dass Pflanzen schon lange vermodert sind, eignen sich besonders gut. Die Erde ähnelt der Blumenerde, wie man sie im Baumarkt kaufen kann“, erklärt der ehemalige Student, während er ein wenig Erde in die Hand nimmt und langsam zwischen den Fingern zerbröselt: „Wenn die Bedingungen gut sind, wächst Hanf wie Unkraut.“ Auch in Deutschland könne die Pflanzen unter geeigneten Bedingungen eine Höhe von drei Metern erreichen.
Ein schlechtes Gewissen hat er nicht, auch nicht, wenn er wüsste, dass 15-Jährige sein Gras kaufen würden: „Besser, jemand raucht mein Ganja, als Probleme mit Alkohol oder mit hochgezüchtetem holländischen Gras zu bekommen, das dreimal stärker als meines ist“, bekennt er. Aufgewachsen ist er in einem Dorf im Süden der Republik, nahe Stuttgart. Bis er 24 Jahre alt war, wohnte er zuhause. Die hundert Euro, die er im Monat von den Eltern bekam, reichten ihm bei Weitem nicht.
So begann er, sich mit dem Anbau einen Teil seines Lebensunterhalts zu finanzieren. Mit 15 Jahren interessierte sich der schmächtige junge Mann zum ersten Mal für die Droge. In einem „Headshop“, einem Laden, der auf Rauch- und Anbau-Utensilien spezialisiert ist, kaufte er seine ersten Samen. Seinen Eltern sagte er, dass es sich um einen Versuch für den Biologieunterricht handele, die Zucht einer speziellen Tomatensorte. Sie glaubten ihm die Lüge, bis die Pflanzen zwanzig Zentimeter groß waren. Dann erkannte seine Mutter an den gezackten Blättern, um was es sich bei den Gewächsen wirklich handelte. Einen Teil vernichtete er, wie sie es von ihm verlangte, den anderen Teil rettete er zu Freunden. Nach der Lektüre verschiedener Ratgeber fuhren sie im Herbst ihre erste Ernte von hundert Gramm ein.
In seinem Zimmer hat der 28-Jährige die Machete, die er zum Ernten benutzt, demonstrativ an die Wand gestellt. Er geht zum Fensterbrett und streicht zärtlich über die Setzlinge. „Babes“, so nennt er sie. Er reibt die harzigen Blätter und Stängel zwischen seinen Fingern, damit sich das Harz öffnet. Er riecht an seiner Hand, von der jetzt dieser charakteristisch süßliche Geruch ausgeht. Jeden Frühling ist es wieder so weit, dann setzt er die Samen in die Erde seiner aus Tetrapackungen gebastelten Blumenkästen. Aus denen – wenn die Bedingungen gut sind – in einem halben Jahr zwei bis drei Meter hohe Sträucher werden. „Ich denke wie ein Bauer, der seine Ernte über den Sommer bringen will“, erklärt Stefan K., während er einen seiner Setzlinge aus der Nähe begutachtet.
Im April kommen die Samen in die Erde. Nach etwa sechs Wochen setzt er die Setzlinge dann aus. Jetzt sind die Pflanzen am anfälligsten gegen Hagel, Trockenheit und Schnecken. In dieser Zeit sieht er mehrmals die Woche nach den Pflanzen, bis die Wurzeln lang genug sind, um die Pflanze zu versorgen, Zweige und Stiel stabiler sind. Ab Mitte August muss er dann herauszufinden, welche Pflanzen männlich, welche weiblich sind. Die weiblichen bilden feine weiße Härchen aus. Die männlichen Pflanzen werden vernichtet, sie würden sonst die weiblichen Pflanzen befruchten, die dann ihrerseits Samen entwickeln. Die eigentlichen Blüten, der entscheidende Teil der Pflanze, wären dann verloren. Selber haben die männlichen Pflanzen einen zu geringen Anteil an Tetrahydrocannabinol (THC), dem Hauptwirkstoff des Harzes.
Zwischen September und Oktober ist Erntezeit. Zur Risikominimierung in mehreren Etappen. Stefan K. sägt die Pflanzen knapp über dem Boden ab, schneidet sie in Teile und steckt diese in große blaue Müllsäcke, die er dann im Kofferraum verstaut. Zuhause entfernt er die Blüten, das, was später getrocknet als Marihuana verkauft wird. Sie haben mit sechs bis etwa zwanzig Prozent den höchsten THC-Anteil. Dann hängt er die Blüten zum Trocknen im verlassenen Geräteschuppen oder im VW-Bus auf. Nach knapp drei Wochen nimmt er die Blüten ab, entfernt die restlichen Blätter, die nicht verharzt sind, wiegt die Ware und packt sie in Tüten ab. Geld- und Warenübergabe finden in den eigenen vier Wänden statt, in seinem geräumigen Schlafzimmer auf einer durchgesessenen Couch mit bunt gemustertem Überwurf.
In guten Jahren erntet er bis zu zwei Kilogramm Marihuana. Etwa die Hälfte der Ernte verkauft er. Bei sechs Euro pro Gramm verdient er dann 6.000 Euro. Den Rest behält er und verschenkt es an Freunde. Meist handelt er mit einem Bekannten, den er noch aus der Schulzeit kennt. Der verkauft es dann wieder im Freundes- und Bekanntenkreis in Einheiten von sieben bis neun Gramm. So bleibt der Kreis der Wissenden übersichtlich und das Risiko für den 28-Jährigen gering. Neben Bafög und dem Geld von seinen Eltern finanziert sich Stefan K. so seinen Lebensunterhalt, auch als er ein Jahr im Ausland studierte. Die Samen kauft er auf eigenen Reisen oder lässt sie sich von Freunden mitbringen: aus Südafrika, Nigeria, Kolumbien, Nepal und der Schweiz.
Nicht die Faszination des Illegalen ist es, die ihn so sehr am Anbau fasziniere, sondern „der Reiz, aus Nichts Wertschöpfung zu betreiben“, erklärt Stefan K. nüchtern. Mit Freiheitsstrafen für den Anbau und Handel mit zwei Kilogramm Cannabis mit bis zu vier Jahren ohne Bewährung, je nach Bundesland, Gericht und Begleitumständen, ist das, was er tut, kein Kavaliersdelikt.
Polizei erntet 190.241 Pflanzen
Im Jahr 2006 wurden in Deutschland genau 190.241 Pflanzen beschlagnahmt, mehr als doppelt so viele wie noch im Vorjahr. Einen von seinen Anbauplätzen entdeckte die Polizei nur wenige Tage nach der Ernte – und hinterließ Flyer mit der rührenden Aufschrift „Drogen machen schlappe Vögel“. Einige Jahre zuvor sah es für den 28-Jährigen noch knapper aus: Mit 38 Setzlingen im Kofferraum, die er mit einem Freund zu der Rodung bringen wollte, kam er in eine Verkehrskontrolle. „Damals dachte ich: Ich muss jetzt unbedingt cool bleiben, nur keine Aufregung ausstrahlen. Weil sonst haben sie mich wirklich.“ Nachdem der Polizist ihn auf eine Ölspur hingewiesen hatte, ließ man sie mit der heißen Ware im Kofferraum weiterfahren.
Früher war er für die Legalisierung, jetzt ist sich der 28-Jährige bei diesem Thema nicht mehr so sicher: „In Holland sieht man auch die Kehrseite, dort hat die Legalisierung auch Probleme mit sich gebracht, wie das gewachsene Angebot von harten Drogen.“
Doch schon bald wird diese Streitfrage für den jungen Mann keine Rolle mehr spielen: Dieses Jahr will er zum letzten Mal anbauen. Sein Studium ist zu Ende, und eine Arbeit mit einem Jahresgehalt von 50.000 Euro erwartet ihn. Das ist ein lukrativeres und sichereres Einkommen.
Die Grundlagen zum Anbau hat er sich selbst beigebracht: Grundstock, Zucht, Pflege, Logistik, Buchhaltung und Vertrieb. Man könnte sagen: Ein funktionierender Ein-Mann-Betrieb, der wegen der höheren Gewinnspanne nun umsattelt, um auf legale Weise Geld zu verdienen. Denn „Gschäft ist Gschäft“, wie Stefan K. betont.