Schon bei der Berlinale-Eröffnung ging es los: „Shine a Light“ heißt Martin Scorseses Dokumentation über die Rolling Stones, was klingt wie: „Gib mir Feuer.“ Die Stones sind berühmt für ihren Zigarettenkonsum – mindestens. Keith Richards ist im Film zu sehen, wie er mit Kippe an der Lippe in die Saiten haut.
Und so geht es weiter: Im chinesischen Wettbewerbsbeitrag „Zuo You“ ringt ein leukämiekrankes Kind im Zigarettenqualm des Stiefvaters mit dem Leben, in „Lake Tahoe“ umgarnt ein Mädchen den jungen Juan mit allerlei Dünsten, und der finnisch-deutsche Wettbewerbsbeitrag „Musta Jää“ („Black Ice“) wirbt schon im Katalog mit der rauchenden Hauptdarstellerin Outi Mäenpää als Saara.
Wenn es brenzlig wird
In „Julia“ ruiniert sich Tilda Swinton dann mit Schnaps und Zigaretten die Gesundheit, die Straßen-Teens Leslie (Gillian Jacob) und Donnie (Evan Ross) zünden sich in „Gardens of the Night“ mehr Kippen an, als sie ausmachen, und in „Bam Gua Nat“ („Nacht und Tag“) geht es in der Hauptsache ums Rauchen, genauer ums Marihuana-Rauchen. Dafür soll der koreanische Maler Kim Sung-nam (Kim Youngho) sogar ins Gefängnis.
Aber auch der intellektuelle Typ greift wieder zur Zigarette, gerne, wenn es brenzlig wird: In „Fireflies in the Garden“ haucht Schriftsteller Michael Taylor (Ryan Reynolds) mit dem Zigarettenrauch seinen Vater-Konflikt in den Wind, im brasilianischen Beitrag „Tropa de Elite“ („Elite Squad“) geht es mit einem Marihuana schmauchenden Jura-Studenten nicht gut aus. Und das Professoren-Drama „Elegy“ ist geradezu ein Dokument des schwachen Fleisches: Die Figur der Caroline (Patricia Clarkson) greift nach dem Sex zur Zigarette. Der Zuschauer erfährt, dass sie wegen „Stress“ nach langer Abstinenz wieder anfing.
Für die Berlinale-Leitung steht das Comeback des tiefen Inhalierens über allgemeinen Fragen zur Gesundheit. „Wir reden hier von Kunst. Diese Freiheit muss sein“, sagt Berlinale-Sprecherin Frauke Greiner. Nach welchen Kriterien die Jury am Ende die Bären verteilt, bleibt sozusagen im Nebel. Soweit aber ist sich die Gruppe unter Leitung von Regisseur Constantin Costa-Gavras einer Berlinale-Sprecherin zufolge einig: Keiner raucht, zumindest nicht offiziell.
Damit zeigt sich die Jury, der noch die Schauspielerinnen Diane Kruger und Shu-Qi, Szenenbildner Uli Hanisch, Sounddesigner Walter Murch und Produzent Alexander Rodniansky angehören, einmal mehr repräsentativ, und zwar für die wachsende Zahl von Nichtrauchern in Europa und den USA.
Einschränkung der Tabakwerbung
Dagegen beobachtet Reiner Hanewinkel vom Kieler Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT Nord) mit US-Kollegen, dass in Kinofilmen heute viel mehr geraucht wird als vor zehn Jahren. Gründe dafür kann er sich einige vorstellen, unter anderen jenen, dass es „schon Kräfte gibt, die daran interessiert sind, Rauchen zu zeigen“. Das habe auch mit der Einschränkung für Tabakwerbung weltweit zu tun, sagt er. Zwar sieht Hanewinkel durchaus die dramaturgische Relevanz von Fluppe und Aschenbecher. Da Rauchen aber gerne in Schlüsselszenen eingesetzt werde, wirke es entsprechend auf Jugendliche, warnt er.
Aber da gibt es glücklicherweise noch andere Filme, den deutschen Wettbewerbsbeitrag „Kirschblüten – Hanami“ von Doris Dörrie zum Beispiel. Die beiden Protagonisten Rudi (Elmar Wepper)und Trudi (Hannelore Elsner) sind weit in den Sechzigern, keiner von beiden raucht. Allerdings bleibt der Film auch bei dem Thema eine kleine Illusion: Elsner ist in Wirklichkeit zwar auch in den Sechzigern. Aber zumindest auf Partys rauche sie doch ab und zu, gab ihre Agentur zu.
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