Mit Cannabis-Extrakt und synthetischem THC lassen sich Spastik und Schmerzen bei Multipler Sklerose gut reduzieren. Bei anderen Indikationen ist die Evidenz jedoch eher mager, heißt es auf der AAN-Jahrestagung. Und ob Joints helfen, wissen wohl nur die, die sie rauchen.
PHILADELPHIA. Medizinische Cannabispräparte sind inzwischen in vielen Ländern als Zusatztherapeutika bei MS-bedingter Spastik und Schmerzen zugelassen, werden aber auch für andere Indikationen diskutiert.
Zudem sind neben Pillen und Sprays auch andere Anwendungsformen beliebt, etwa das Rauchen von Haschisch und Marihuana zu medizinischen Zwecken.
Von welcher Anwendungsform bei welchen Indikationen am meisten zu erwarten ist, hat jetzt ein Leitlinien-Entwicklungs-Komitee der US-amerikanischen Neurologengesellschaft AAN analysiert.
Ergebnisse der Beurteilung von 34 Studien zum medizinischen Gebrauch von Cannabis sind jetzt auf der Jahrestagung der Gesellschaft in Philadelphia vorgestellt und zeitgleich in der Zeitschrift „Neurology“ veröffentlicht worden. Sie sollen Ärzten und Patienten einen Überblick zum Nutzen solcher Präparate geben.
„Einige der Mittel können bestimmte MS-Symptome lindern, sie scheinen aber gegen Levodopa-induzierten Dyskinesien bei Parkinsonpatienten wenig hilfreich zu sein“, fasste Studienautorin Dr. Barbara Koppel vom New York Medical College auf eine Pressekonferenz der AAN die wesentlichen Ergebnisse zusammen.
„Bisher gibt es auch keine ausreichende Evidenz für einen Nutzen bei motorischen Problemen von Huntington-Patienten, gegen Tics bei Tourette-Patienten, zervikaler Dystonie oder zur Prävention epileptische Anfälle“, erläuterte die Neurologin. Dies bedeute jedoch nicht in jedem Fall, dass keine Wirksamkeit zu erwarten sei, häufig fehlten aber qualitativ hochwertige Studien zu solchen Indikationen.
Verschiedene Anwendungsformen untersucht
Geprüft wurden in den Studien Cannabis-Extrakte für die orale Therapie, synthetisches Tetrahydrocannabinol (Dronabinol), ein Mundspray mit standardisierten Cannabiswirkstoffen (Nabiximols) sowie das Rauchen von Marihuana und Haschisch.
Für die zugelassenen Indikationen von medizinischem Cannabis konnten die Neurologen um Koppel wie erwartet die beste Evidenz feststellen: So ließen sich 17 Studien zur Therapie bei MS-bedingter Spastik aufspüren.
Hier bescheinigten die US-Ärzte oralen Cannabisextrakten die beste Wirksamkeit – sie sehen eine starke Evidenz für einen Nutzen. Eine moderate Evidenz fanden sie bei synthetischem THC und dem Mundspray.
Für gerauchtes Cannabis ließen sich nur zwei Studien mit 20 bis 30 Teilnehmern und finden, und nur eine davon deutet auf einen Nutzen. Die Wirksamkeit für das Cannabisrauchen sei daher nicht belegt.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei zentralen Schmerzen und bei spastikbedingten Schmerzen von MS-Patienten (13 Studien).
Das AAN-Komitee fand wiederum eine starke Evidenz für orale Cannabisextrakte und eine moderate Evidenz für Mundspray und synthetisches THC sowie keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis von gerauchtem Cannabis.
Für das Mundspray deutet die Studienlage aber auf eine wahrscheinliche Wirksamkeit bei überaktive Blase, bei den anderen Cannabispräparaten gab es mehrere negative Studien, so dass bei diese wahrscheinliche unwirksam sind, heißt es in der Analyse.
Zur Tremortherapie bei MS wurden insgesamt fünf Studien ausgewertet. In keine der Studien wurde ein Nutzen für eine der medizinischen Anwendungsformen von Cannabis beobachtet, so dass hier ebenfalls von einer Unwirksamkeit auszugehen ist.
Ernste psychische Nebenwirkungen bei einem Prozent
Keine positiven Studiendaten gibt es bislang offensichtlich bei anderen neurologischen Erkrankungen. Die meisten Studien mit Parkinson-, Dystonie-, Huntington- Tourette- und Epilepsiepatienten verliefen negativ oder hatten so geringe Teilnehmerzahlen, dass keine zuverlässigen Aussagen möglich sind.
Häufige Nebenwirkungen der Cannabistherapie waren Aufmerksamkeit- und Gleichgewichtsprobleme, Übelkeit und Verstopfung. Ernste psychische Nebenwirkung wie Suizidgedanken oder starke Stimmungsschwankungen wurden bei etwa einem Prozent der Studienteilnehmer beobachtet.
Koppel wies darauf hin, dass Cannabispräparate nur dann verordnet werden sollten, wenn die Symptome mit Standardtherapeutika nicht ausreichend zu lindern sind.
Auch sollten die Ärzte dann Nutzen und Risiken sorgfältig abwägen.