W4rfWaVaONLJ

Die Geschichte der Anästhesie: Von der Antike bis zur modernen Schmerzausschaltung

Die Geschichte der Anästhesie begann in der Antike und macht heute viele Operationen erst möglich. Die moderne Forschung konzentriert sich vor allem auf die Langzeitfolgen der Betäubung. Eine faszinierende Reise durch die Entwicklung der Schmerzmedizin von den ersten Versuchen bis zu den hochmodernen Verfahren unserer Zeit.

Die Geschichte der Anästhesie…
175 Jahre moderne Anästhesie – Ein Meilenstein der Medizingeschichte

Die paradiesischen Anfänge

„Da ließ der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloss die Stätte mit Fleisch zu.“
— Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments

Das waren noch paradiesische Zustände, als Gott ganz schmerzfrei eine Rippe aus Adams Körper entfernte. Die erste Narkose (von griechisch „Narkos“, der Schlaf) war zugleich für lange Zeit auch die letzte. Nach der Vertreibung aus dem Paradies mussten die Menschen nicht nur ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts verdienen, sondern auch Kinder unter Schmerzen gebären.

Der Körper musste aufgeschnitten werden, um eine Geschwulst zu entfernen. Ein nach einer Verletzung lebensgefährlich infiziertes Bein musste amputiert werden. Diese Prozeduren waren so schmerzhaft, dass sie lange Zeit dem äußersten Notfall vorbehalten blieben. Neben Blutverlust und Infektionen, gegen die es noch keine Transfusionen und keine Antibiotika gab, fehlte vor allem eines: zuverlässige Abhilfe gegen den mörderischen Schmerz.

Frühe Versuche der Schmerzlinderung

Deshalb wurde, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, meist in Windeseile operiert, während mehrere starke Männer den Kranken mit aller Kraft festhielten.

An Linderungsversuchen fehlte es dabei nicht. Schon in der Antike wurde aus der Alraune gewonnener Wein und pulverisierter Hanfsamen eingesetzt, früh verfiel man auch auf das Mittel der Vereisung mit Schnee und Eisstückchen.

Trotzdem blieb zum Beispiel das Zähneziehen eine entsetzliche Qual.

Die Geschichte der Anästhesie…
Die Pflege spielte schon immer eine zentrale Rolle in der Anästhesie

Entdeckungen des 19. Jahrhunderts

1775
Seit 1775 konnte man Lachgas herstellen, dessen erheiternde Wirkung auf den Jahrmärkten schnell zur Sensation wurde.
1806
Zum ersten Mal wurde Morphin aus Opium gewonnen – ein wichtiger Meilenstein in der Schmerztherapie.
Die Geschichte der Anästhesie…
Horace Wells
Amerikanischer Zahnarzt, der als Erster Lachgas beim Zahnziehen einsetzte. Seine Demonstration vor Kollegen der Harvard-Universität war zunächst jedoch kein voller Erfolg.
Die Geschichte der Anästhesie…
Theodor Billroth
Berühmter deutscher Chirurg, der die Bedeutung der Anästhesie für komplizierte Operationen erkannte und in seinem Handbuch der Chirurgie würdigte.
„Schmerzen bei Operationen zu vermeiden, ist eine Schimäre, die man heute nicht mehr weiter verfolgen darf.“
— Chirurg Velpeau, 1839

Der Durchbruch: Die erste Äther-Narkose

Die Geschichte der Anästhesie…
Historische Darstellung der ersten öffentlichen Äther-Narkose
16. Oktober 1846
Als William Morton im Massachusetts General Hospital zum ersten Mal vor einer größeren Operation Äther einsetzte, blieben die europäischen Mediziner zunächst skeptisch, sogar von „Yankee-Bluff“ soll die Rede gewesen sein.
Die Geschichte der Anästhesie…
William Morton führt die erste öffentliche Äther-Narkose durch
„Gentlemen, this is no humbug!“
— Chirurg John Warren nach der erfolgreichen Tumor-Entfernung dank Äther-Narkose

Der berühmte Chirurg John Warren hingegen, der dank dieser Narkose einen Hals-Tumor in Ruhe entfernen konnte, war sofort Feuer und Flamme.

Anästhesie in der Geburtshilfe

Ob die wirkungsvollen neuen Formen der Schmerzlinderung auch in der Geburtshilfe Einzug halten sollten, blieb lange umstritten. Skeptisch waren nicht zuletzt Kirchenvertreter, die den Geburtsschmerz als Preis für die Vertreibung aus dem Paradies betrachteten.

Königin Viktoria macht Chloroform gesellschaftsfähig

Als die sittenstrenge englische Königin Viktoria sich bei der Geburt ihres achten Kindes 1853 Chloroform verabreichen ließ, wurde diese „Narcose à la reine“ gesellschaftsfähig.

„Wir dürfen nie vergessen, dass großartige Operationen, viele Errungenschaften der letzten 20 Jahre, nie geboren worden wären, wenn nicht die Erfindung einer vollkommenen Anästhesie dem Chirurgen ein enormes Material und den Mut zu komplizierten Eingriffen gebracht hätte.“
— Theodor Billroth in seinem Handbuch der Chirurgie

Weitere Entwicklungen der Anästhesie

Billroths dankbare Worte sind umso bemerkenswerter, als der Anästhesie zu diesem Zeitpunkt entscheidende Entwicklungen noch bevorstanden:

1878
Erstmals wurde ein Narkosemittel mittels eines Schlauchs in die Luftröhre eingeführt – die Geburtsstunde der modernen Intubationsnarkose.
Kurz darauf
Die Patienten bekamen zusätzlich Sauerstoff während der Narkose – ein wichtiger Sicherheitsfortschritt.
1940er Jahre
Das indianische Pfeilgift Curare kam hinzu, das die Muskeln während des Eingriffs erschlaffen ließ und komplizierte Operationen ermöglichte.
Die Geschichte der Anästhesie…
Moderne Periduralanästhesie (PDA) – gezielter Schmerzausschaltung
Die Periduralanästhesie (PDA)

Eine weitere wichtige Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ist die rückenmarksnahe Periduralanästhesie (PDA), bei der nur gezielt und regional Nervenbahnen ausgeschaltet werden, Patient oder Patientin aber bei Bewusstsein bleiben. Heute ist die PDA aus der Geburtshilfe nicht mehr wegzudenken.

Als der Berliner Chirurg August Bier und seine Mitarbeiter ähnliche Methoden der gezielten Schmerzausschaltung erstmals im Selbstversuch testeten, sollen übrigens schlimme blaue Flecken am Unterschenkel die Folge gewesen sein. Die Pioniere hatten die Wirkung der Lokalanästhesie ausprobiert, indem sie mit einem Hämmerchen gegen das Schienbein des Betäubten schlugen. Tatsächlich kamen die Schmerzen erst später, als die Betäubung nachließ.

Moderne Anästhesie: Sicherheit und Präzision

Die Geschichte der Anästhesie…
Hochmoderne Anästhesie- und Beatmungsgeräte im heutigen OP-Saal
1:100.000
Nur noch bei einem von 100.000 Eingriffen stirbt ein Patient an der Narkose
30%
der Operierten unter 60 Jahren leiden bei Entlassung unter kognitiven Störungen
5%
der jüngeren Patienten haben nach 3 Monaten noch kognitive Probleme

Als größte Errungenschaft der letzten Jahrzehnte betrachtet es Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Campus Mitte und Virchow der Charité, dass Narkosen inzwischen ausgesprochen sicher geworden sind.

Warum sind moderne Narkosen so sicher?

Das liegt nicht allein an besseren Geräten und Medikamenten, sondern auch am größeren Verständnis der Ärzte dafür, wie beides im individuellen Fall optimal eingesetzt werden kann. Die größere Sicherheit führt auch dazu, dass heute immer mehr alte, mehrfach kranke Menschen operiert werden.

Aktuelle Forschung: Langzeitfolgen im Fokus

Heute achten Anästhesisten nicht mehr nur auf akute Gefahren, sondern auch auf Langzeitfolgen von Operation und Narkose. Vor allem ältere Patienten sind im Anschluss an eine Operation öfters verwirrt und desorientiert.

Kognitive Störungen nach Operationen – Ein neues Forschungsfeld
Zum Zeitpunkt der Entlassung
Leiden noch 30 Prozent der Operierten unter 60 Jahren und 40 Prozent der Älteren unter kognitiven Störungen.
Drei Monate später
Sind es noch fünf Prozent der Jüngeren und zwölf Prozent der Senioren. Gefährlich ist das vor allem, weil es das Risiko zu erhöhen scheint, später eine Demenzerkrankung zu bekommen.

Es wäre also ausgesprochen wichtig, hier gegensteuern zu können. Die Forschung dazu steht erst am Anfang.

Fazit: Vom Paradies zur Perfektion

Die Geschichte der Anästhesie ist eine Geschichte des menschlichen Fortschritts und der Überwindung von Schmerz und Leid. Von den ersten verzweifelten Versuchen mit Alraune und Hanfsamen über die revolutionäre Einführung der Äther-Narkose bis hin zu den hochpräzisen, computergesteuerten Verfahren unserer Zeit – jeder Schritt bedeutete weniger Schmerz und mehr Möglichkeiten für die Chirurgie.

Was einst als „Schimäre“ abgetan wurde, ist heute Realität: Operationen ohne Schmerzen sind nicht nur möglich, sondern Standard. Die moderne Anästhesie ermöglicht komplexeste Eingriffe, von Herztransplantationen bis zu mehrstündigen Tumoroperationen.

Unseren Vorfahren würde schon das, was die Anästhesisten heute zu bieten haben, wie eine Rückkehr ins Paradies erscheinen. Und dennoch forscht die Medizin weiter – für noch sicherere, noch schonendere Verfahren, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist der Patienten bestmöglich schützen.

Von Adams schmerzfreier Operation bis zur modernen PDA – die Anästhesie schreibt weiterhin Geschichte.

Von cannabinus

Gebt den Hanf Frei!!!