Die Geschichte der Anästhesie: Von der Antike bis zur modernen Schmerzausschaltung
Die Geschichte der Anästhesie begann in der Antike und macht heute viele Operationen erst möglich. Die moderne Forschung konzentriert sich vor allem auf die Langzeitfolgen der Betäubung. Eine faszinierende Reise durch die Entwicklung der Schmerzmedizin von den ersten Versuchen bis zu den hochmodernen Verfahren unserer Zeit.
Die paradiesischen Anfänge
Das waren noch paradiesische Zustände, als Gott ganz schmerzfrei eine Rippe aus Adams Körper entfernte. Die erste Narkose (von griechisch „Narkos“, der Schlaf) war zugleich für lange Zeit auch die letzte. Nach der Vertreibung aus dem Paradies mussten die Menschen nicht nur ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts verdienen, sondern auch Kinder unter Schmerzen gebären.
Der Körper musste aufgeschnitten werden, um eine Geschwulst zu entfernen. Ein nach einer Verletzung lebensgefährlich infiziertes Bein musste amputiert werden. Diese Prozeduren waren so schmerzhaft, dass sie lange Zeit dem äußersten Notfall vorbehalten blieben. Neben Blutverlust und Infektionen, gegen die es noch keine Transfusionen und keine Antibiotika gab, fehlte vor allem eines: zuverlässige Abhilfe gegen den mörderischen Schmerz.
Frühe Versuche der Schmerzlinderung
Deshalb wurde, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ, meist in Windeseile operiert, während mehrere starke Männer den Kranken mit aller Kraft festhielten.
An Linderungsversuchen fehlte es dabei nicht. Schon in der Antike wurde aus der Alraune gewonnener Wein und pulverisierter Hanfsamen eingesetzt, früh verfiel man auch auf das Mittel der Vereisung mit Schnee und Eisstückchen.
Trotzdem blieb zum Beispiel das Zähneziehen eine entsetzliche Qual.
Entdeckungen des 19. Jahrhunderts
Der Durchbruch: Die erste Äther-Narkose
Der berühmte Chirurg John Warren hingegen, der dank dieser Narkose einen Hals-Tumor in Ruhe entfernen konnte, war sofort Feuer und Flamme.
Anästhesie in der Geburtshilfe
Ob die wirkungsvollen neuen Formen der Schmerzlinderung auch in der Geburtshilfe Einzug halten sollten, blieb lange umstritten. Skeptisch waren nicht zuletzt Kirchenvertreter, die den Geburtsschmerz als Preis für die Vertreibung aus dem Paradies betrachteten.
Als die sittenstrenge englische Königin Viktoria sich bei der Geburt ihres achten Kindes 1853 Chloroform verabreichen ließ, wurde diese „Narcose à la reine“ gesellschaftsfähig.
Weitere Entwicklungen der Anästhesie
Billroths dankbare Worte sind umso bemerkenswerter, als der Anästhesie zu diesem Zeitpunkt entscheidende Entwicklungen noch bevorstanden:
Eine weitere wichtige Errungenschaft des 20. Jahrhunderts ist die rückenmarksnahe Periduralanästhesie (PDA), bei der nur gezielt und regional Nervenbahnen ausgeschaltet werden, Patient oder Patientin aber bei Bewusstsein bleiben. Heute ist die PDA aus der Geburtshilfe nicht mehr wegzudenken.
Moderne Anästhesie: Sicherheit und Präzision
Als größte Errungenschaft der letzten Jahrzehnte betrachtet es Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Campus Mitte und Virchow der Charité, dass Narkosen inzwischen ausgesprochen sicher geworden sind.
Das liegt nicht allein an besseren Geräten und Medikamenten, sondern auch am größeren Verständnis der Ärzte dafür, wie beides im individuellen Fall optimal eingesetzt werden kann. Die größere Sicherheit führt auch dazu, dass heute immer mehr alte, mehrfach kranke Menschen operiert werden.
Aktuelle Forschung: Langzeitfolgen im Fokus
Heute achten Anästhesisten nicht mehr nur auf akute Gefahren, sondern auch auf Langzeitfolgen von Operation und Narkose. Vor allem ältere Patienten sind im Anschluss an eine Operation öfters verwirrt und desorientiert.
Es wäre also ausgesprochen wichtig, hier gegensteuern zu können. Die Forschung dazu steht erst am Anfang.
Fazit: Vom Paradies zur Perfektion
Die Geschichte der Anästhesie ist eine Geschichte des menschlichen Fortschritts und der Überwindung von Schmerz und Leid. Von den ersten verzweifelten Versuchen mit Alraune und Hanfsamen über die revolutionäre Einführung der Äther-Narkose bis hin zu den hochpräzisen, computergesteuerten Verfahren unserer Zeit – jeder Schritt bedeutete weniger Schmerz und mehr Möglichkeiten für die Chirurgie.
Was einst als „Schimäre“ abgetan wurde, ist heute Realität: Operationen ohne Schmerzen sind nicht nur möglich, sondern Standard. Die moderne Anästhesie ermöglicht komplexeste Eingriffe, von Herztransplantationen bis zu mehrstündigen Tumoroperationen.
Unseren Vorfahren würde schon das, was die Anästhesisten heute zu bieten haben, wie eine Rückkehr ins Paradies erscheinen. Und dennoch forscht die Medizin weiter – für noch sicherere, noch schonendere Verfahren, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist der Patienten bestmöglich schützen.
Von Adams schmerzfreier Operation bis zur modernen PDA – die Anästhesie schreibt weiterhin Geschichte.
