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Um die aufsehenerregende Entwicklung in der neuesten Cannabisforschung zu erkennen, ist zunächst ein kurzer Exkursion in den medizinischen Sektor nötig: Die Hauptwirkstoffe der Cannabis-Pflanze werden Cannabinoide genannt. Im Körper jedes Menschen sind kleine Empfangsstationen in den Zellmembranen dafür zuständig, dass die Cannabinoide ihre Effekt entfalten können. Diese
Stationen werden Rezeptoren genannt.

Die meisten psychoaktiven Essenzen wirken über solche Rezeptoren, indem sie an sie binden oder sie blockieren und damit die Signalweiterleitung beeinflussen. Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckten Forscher ein ausgedehntes System von Rezeptoren, das primär der Aufnahme der Cannabinoide zu dienen schien. Man nannte es das „endogene Cannabinoid-System“.

Die Auswirkung dieser Feststellung und Namensgebung fängt man erst heute allmählich an zu begreifen. Denn im Laufe der Spanne entstand ein ganzer Forschungszweig, der sich nur mit diesem System beschäftigt. Eine neue Welt tat sich auf, Konferenzen wurden abgehalten, Universitäts-Abteilungen beantragten Gelder.

So schön der Sage klingen würde: Die Cannabinoid-Rezeptoren sind von der Evolution nicht nur dafür geschaffen worden, um Cannabis aufzunehmen. Allen Forschern war Anfang der 90er Jahre klar: Wie bei allen anderen Rezeptoren auch musste ein körpereigener Stoff existieren, der eine bestimmte Feature an diesen Rezeptoren erfüllt. 1992 entdeckten der tschechische Laborchemiker Lumir Hantig und der amerikanische Molekularpharmakologe William Anthony Devane diese Essenz im Leib und nannten sie „Anandamid“. Eine feine Ironie, denn im Sanskrit steht das Wort „Ananda“ für die Glückseligkeit.

Global forschte man in den Laboren der PharmaFirmen und Universitäten weiter, nun galt es, die
Cannabinoid-Rezeptoren genauer zu untersuchen. Man entdeckte zwei Arten, diese werden heute
als CB-1- und CB-2-Rezeptoren bezeichnet. Ersterer findet sich vorwiegend in Nervenzellen. Am
häufigsten kommt er im Kleinhirn und im Hippocampus (eine Sektion im Zerebrum) vor. Der CB-2
findet sich dagegen vorwiegend in den Zellmembranen des Immunsystems und auf Zellen, die am
Knochenauf- und -abbau beteiligt sind. Es wird vermutet, dass weitere Sub-Rezeptoren für
Cannabinoide existieren. Diese beiden Rezeptoren sind Ziel der Entwicklung von neuen Wirkstoffen
und damit letztlich neuen Medikamenten. Für Kranke lockt Abschwächung, für die Pharma-Industrie ein
Riesengeschäft. Wie immer, wenn neue Medikamente in Aussicht stehen, vermischen sich Wünsche,
Prognosen und Versprechungen. Fakt ist: Alleine im Markt der Hungerzügler haben über zehn
Unternehmen Wirkstoffe entwickelt und in der Erforschung, die am CB-1-Rezeptor ansetzen. Abbildung
1 zeigt den Aufschwung, den dieser Forschungszweig seit 2000 erfahren hat.
Versuche, wirksame Hungerzügler herzustellen, gab es viele: Amphetamin (Speed) galt in den 40er
und. 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als probates Mittel, um den Hunger zu stillen. Bei
regelmäßig-übermäßiger Einnahme, so stellte man fest, überwogen allerdings die negativen
Langzeitwirkungen. Bis heute weisen viele der auf dem Markt befindlichen Hungerzügler eine
ähnliche chemischen Struktur wie Amphetamin auf. Nur haben sich die Laborchemiker darum bemüht, die
psychoaktiven Effekten zu eliminieren. Ein solcher Wirkstoff ist beispielsweise Fenfluramin, einer
anderes Phentermin. In den USA kam es Anfang der 90er Jahre zum sogenannten „Fen-Phen“-
Debakel, weil die beiden Medikamente von Patienten parallel eingenommen wurden und es zu
Herzbeschwerden kam.
Ein Problem ist: Die zugrunde liegenden Mechanismen der körpereigenen Regulation von
Nahrungsaufnahme und Sättigungsgefühl sind erst in Ansätzen verstanden. Die fresslustzügelnden
Eigenschaften von Speed basieren auf der Hemmung des Hungerzentrums im Zwischenhirn. Aber
die auf Amphetamin beruhenden Medikamente haben unerwünschte Nebenwirkungen. Aus diesem
Grund und weil die Pharma-Industrie naturgemäß immer auf der Suche nach neuen
Verkaufsschlagern ist, geriet Cannabis in den Fokus.
Die Überlegung der Pharmakologen: Wenn Cannabis den Hunger über die Cannabinoid-Rezeptoren
anregt, dann müsste eine Blockierung des Rezeptors den Hunger mäßigen. Solche Blockierer werden
Antagonisten genannt. 1994 synthetisierten Forscher beim Pharma-Konzern Aventis einen
CB-1- Antagonisten und nannten ihn „Rimonabant“. Dieses Medikament ist bis heute in Europa zum
erfolgreichen Hungerzügler geworden. Wie so oft treten aber Nebenwirkungen auf, in den USA ist
das Medikament daher nicht erlaubt. Auch in Europa sollen Langzeitstudien klären, ob
Rimonabant harmlos länger eingenommen werden kann. Glaubt man den Studien, verlieren
fettleibige Patienten in RimonabantTherapie tatsächlich an Gewicht.
Seit dem Erfolg von Rimonabant ziehen die anderen Firmen nach. Merck & Co. entwickeln
Taranbant, Pfizer einen Stoff mit dem Arbeitstitel CP-945598. Die Blockade des Cannabinoid-
Rezeptors bringt aber nicht den Vorteil der Hungerreduktion. Der Rezeptor ist eben nicht nur für
den Hunger, sondern auch für andere Mechanismen im Körper zuständig, so kommt es, dass
Testpersonen immer wieder mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, wenn sie CB-1-
Antagonisten einnehmen. Eine Erklärung ist: Die Euphorie, die beim Konsum von Cannabis verspürt
wird, schlägt bei der Blockade des dafür zuständigen Rezeptors ins Gegenteil um. Fest steht bisher
nur, dass ein Eingriff in das cannabinoide System des Leute weitreichende Folgen haben kann.
Trotz dieser Hindernisse haben heute diverse Pharma-Firmen und Biotechs Patente auf CB-1- und
CB-2-Blocker oder Enhancer eingetragen.

Sativex
Expertise im Cannabinoid-Markt hat sich die britische Unternehmen GW Pharmaceuticals erarbeitet. Mit
„Sativex“, einem Mundspray, haben sie das einzige Cannabinoid-Produkt auf dem Markt, welches
aus organischem Material produziert wird. GW hat die Erlaubnis, Cannabispflanzen in großen
Mengen anzubauen. Mit jedem Spraystoß liefert Sativex 2,7mg THC and 2,5mg Cannabidiol an den
Patienten. Bis heute ist es nur in Kanada erlaubt und auch nur bei Patienten mit Multipler
Sklerose. In anderen Ländern laufen Genehmigungsverfahren, um Sativex als Analgetikum
zuzulassen. Auch GW Pharmaceuticals arbeitet an einem Hungerzügler, dieser basiert auf einer
Unterart des THC, dem Tetrahydrocannabivarin (THC-V). Dieses gewinnt GW ebenfalls aus den
eigens angebauten Pflanzen. Wie das oben erwähnte Rimonabant gilt THC-V als CB-1-Antagonist,
allerdings als natürlich vorkommender.

CB-2
Die Analyse des endogen cannabinoiden Systems fokussierte sich bis 2006 vor allem auf den CB-1-
Rezeptor. Neuere Forschung zeigen nun, dass der CB-2- Rezeptor eine wichtige Rolle bei einigen
Leibfunktionen spielt: Knochenschwund im Alter (Osteoporose), Modulationen des
Immunsystems, Nervenentzündungen, Schmerzempfinden. Schon jetzt zeigt sich aber: Die für die
Arzneimittelenentwicklung so wichtigen Tierversuche sind hier wenig aussagekräftig, weil Ratten
und Mäuse anders auf CB2-Substanzen reagieren als Leute. Dazu kommt: Weder Cannabis
noch die cannabinoiden Agonisten oder Antagonisten wirken zielgenau in nur bestimmten Regionen
des Körpers oder Gehirns, wenn auch die Pharma-Industrie gerne von „hochselektiven Wirkstoffen“
spricht. Nein, das System Mensch wird in seiner Gesamtheit geflutet, so kommt es zu chemischen
Kaskaden bei Botenstoffen, deren Ausgang nur durch Trial and Error herausgefunden werden
kann. Die Naturmedizin hat ein solches Verfahren über die Jahrhunderte an Mio. von Leute
angewandt, die moderne Pharmazie arbeitet dagegen mit 1000 Probanden, die einen Wirkstoff über
einen kurzen Spanneraum erhalten.

Fazit
Die Feststellung des cannabinoiden Systems ist aus vielerlei Gründen ein Meilenstein. Zum einen
kann die wissenschaftliche Erforschung der Effekt von Cannabis fortschreiten. Die verschiedenen
Pflanzenwirkstoffe scheinen für diverse Vorgänge im menschlichen Organismus mitverantwortlich zu
sein. Die Geschichte hat die breite Anwendbarkeit von Cannabis gezeigt, nun wäre es
Aufgabe der modernen Forschung, dieses alte Wissen in moderne Medizin umzusetzen. Das
Problem: Moderne Medizin heißt heute meist Pharmakologie. Pharma-Unternehmen sind in erste
Linie an patentierbaren Wirkstoffen interessiert und werden daher alles versuchen, die natürlich
vorkommenden Wirkstoffe zu diskreditieren. Der euphorisierende Effekt von natürlichen
Cannabisprodukten wird daher weiterhin als unerwünschte Nebenwirkung beschrieben werden. Mit
viel Aufwand versucht man heute in den Labors, die psychoaktive Effekt der Cannabinoide zu
eliminieren und ein Reinprodukt zu erhalten, das zielgenau nur bestimmte Bereiche des menschlichen
Organismus beeinflusst. Die Geschichte der Medikamente zeigt aber nur zu deutlich, dass solche
Bemühungen nur mit neuen Nebenwirkungen erkauft werden. Aber das Marketing der Pharma-
Firmen wird dieses Phänomen weiterhin zu kaschieren wissen. Die Apologeten einer naturnahen
medizinischen Anwendung des Hanfs, so traurig dies ist, werden unter den Bedingungen der
heutigen Marktwirtschaft auch weiterhin als Kifferfreunde abgestempelt werden. Zukünftig werden
diverse Medikamente auf den Markt stoßen, die das cannabinoide System zum Ziel haben werden.
Zu einer Rehabilitierung der Pflanze wird das aber nicht führen.

Von cannabinus

Gebt den Hanf Frei!!!