Barbara Ritzert, ProScience Communications – die Agentur für Wissenschaftskommunikation GmbH
Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e.V.
20.03.2010 14:13
Der Kinderarzt, Schmerz- und Palliativmediziner Priv. Doz. Dr. Sven Gottschling vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar behandelt Kinder, die aufgrund von Erkrankungen wie Krebs, Erbleiden oder Behinderungen unter starken Schmerzen leiden. Wenn er mit den herkömmlichen Medikamenten die Pein seiner kleinen Patienten nicht mehr in den Griff bekommt, verordnet Gottschling seit fünf Jahren Dronabinol, den halbsynthetisch hergestellten Hauptwirkstoff der Cannabis-Pflanze. Die Präsentation seiner Fallserie auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main wurde Sven Gottschling heute mit dem 1. Posterpreis ausgezeichnet.
Noah ist fünf Jahre alt. Er kam mit einem schweren Herzfehler zur Welt, weitere komplexe Fehlbildungen und ein Krampfleiden kamen hinzu. „Die Diagnoseliste von Noah umfasst zwei Seiten“, sagt Priv. Doz. Dr. Sven Gottschling, der den kleinen Jungen seit 2007 betreut. Gottschling gehört zu jener Handvoll Kinderärzte in Deutschland, die auch eine Zusatzausbildung als Schmerz- und Palliativmediziner haben. Er ist Leiter des Zentrums für Kinderschmerztherapie und Palliativmedizin am Universitätsklinikum des Saarlandes.
Noah ist auch auf dem Poster zu sehen, mit dem der 38-jährige Mediziner seine Kollegen auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt über seine Behandlungsergebnisse mit Dronabinol bei insgesamt acht schwerkranken Kindern informiert. Seine Präsentation wurde am heutigen Samstag mit dem 1. Posterpreis ausgezeichnet, der Jury-Beschluss fiel einstimmig.
Als Gottschling im Jahr 2000 seine Arbeit an der Uniklinik in Homburg aufnahm, setzten seine Kollegen das Cannabinoid aufgrund seiner appetitanregenden Wirkung bereits bei krebskranken Kindern ein. Da Gottschling aber auch bei Kindern mit anderen schweren Erkrankungen mit einer konventionellen Behandlung immer wieder an Grenzen stieß, begann er, das Medikament auch bei anderen Erkrankungen einzusetzen. Inzwischen hat er acht Kinder mit schwersten Mehrfachbehinderungen behandelt, bei denen er mit der konventionellen Therapie am Ende der Fahnenstange angekommen war.
Wenn Kinder beispielsweise unter einer spastischen Lähmung leiden, ist das Mittel der ersten Wahl die Substanz Baclofen. „Doch es gibt immer wieder Patienten mit schwerster Spastik“, weiß Gottschling, „wo wir das Medikament sehr hoch dosieren müssen, die Wirkung dennoch nicht ausreichend ist, aber die Nebenwirkungen ausgeprägt sind. Das Cannabinoid hat auch eine antispastische, eine analgetische und angstlösende Wirkung. Auch davon profitieren die Kinder.
Wie Gottschling in Frankfurt berichtet, kam es – nach subjektiver Einschätzung der Eltern – bei allen acht Kindern zum Teil zu einer deutlichen Besserung der Schmerzen und der Spastik binnen zwei Wochen. Bei sechs der acht Kinder besserte sich das Durchschlafverhalten. Bei einigen Kindern konnten die Ärzte auch die Schmerzmitteldosis reduzieren. Fünf Kinder sind unter Dauertherapie. Die Therapiedauer liegt zwischen 3 Monaten und 5 Jahren. Gewöhnungseffekte, die eine Dosissteigerung erforderlich machen würden, hat Gottschling auch bei der Langzeitanwendung bislang nicht feststellen können.
Das Medikament unterliegt in Deutschland, wie in allen Ländern, dem Betäubungsmittelrecht. Ärzte können es als Rezepturarznei mit einem BTM-Rezept verordnen. Wie bei den meisten Arzneimitteln, die Kinderärzte einsetzen, gibt es keine klinischen Studien mit Kindern. Die Ärzte müssen sich daher vorsichtig in der Therapie nach vorne tasten. „In den Dosierungen, die wir einsetzen, sind aber bei unseren Patienten bislang noch keine nachweisbaren Nebenwirkungen aufgetreten.“ Auch mit den Krankenkassen hat Gottschling keine Probleme, da er seine Fälle immer sorgfältig dokumentiert.
Gottschling ist ab April allerdings nicht mehr nur für Kinder palliativmedizinisch zuständig: Die Universitätsklinik wird ein altersübergreifendes Zentrum für Palliativmedizin etablieren. „Wir erleben nämlich immer wieder, dass beispielsweise Jugendliche, die palliativmedizinisch betreut werden müssen, der Kindermedizin entwachsen , aber auch bei der Erwachsenenstation nicht gut aufgehoben sind.“ Darum wird sich Gottschling – ab 1. April dann Leitender Arzt des Zentrums für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie – mit seinen Kollegen um Palliativpatienten in jedem Alter kümmern – vom 500 Gramm leichten Frühgeborenen bis zum alten Menschen am Lebensende.
Was die Kinderpalliativmedizin von der Palliativbehandlung Erwachsener unterscheidet ist die Tatsache, dass die Kinder oft viele Jahre lang betreut werden. Es kommt in dieser Zeit zwar immer wieder zu Krisen, in denen die Kleinen eine besonders intensive Behandlung brauchen, danach sind sie aber wieder für einige Zeit stabil.
Noahs Mutter rief Gottschling vor wenigen Tagen an, um dem Arzt zu berichten, dass sie das starke Schmerzmittel (Opioid) das Noah ebenfalls benötigt, etwas geringer dosieren wird, da sie den Eindruck hat, dass er weniger braucht.
Bildmaterial kann bei der Pressestelle angefordert werden.
Pressestelle Deutscher Schmerz- und Palliativtag 2010
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