FOTOSTRECKE
Craig Calfee gilt als der Zenmeister unter den Bambusbike-Bauer. An der Küste Kaliforniens, nur hundert Meter vom tosenden Pazifik entfernt, baut der Rahmendesigner in seiner Edelschmiede atemberaubend schöne Räder aus dem schnell wachsenden Süßgras. Lange war Calfee der Einzige, der Pflanzen in Zweiräder verwandelte – jetzt bekommt der Amerikaner Konkurrenz. Zurzeit entwerfen weltweit mehrere Experten Fahrräder aus nachwachsenden Rohstoffen. Unter ihnen sind der Designer Bruno Mares aus der Slowakei sowie Nick Frey, Radsportprofi aus Kalifornien. Auch der deutsche Ingenieur Nicolas Meyer arbeitet an dem Thema, setzt allerdings nicht auf Bambus. Er kreierte ein Triathlonrad aus Hanf.
Sie alle sind allerdings Neulinge, Calfee dagegen ist schon ein alter Hase. Mitte der neunziger Jahre suchte der Rahmendesigner für eine Fahrradmesse einen Hingucker. Er wollte mehr als eine schöne Idee. Er wollte, dass das Publikum an seinem Stand steht und staunt.
Calfees Hund brachte den Kalifornier auf die zündende Idee. Beim Toben hatte sich der Pitbull-Labrador-Retriever-Mischling in einen Bambusstock verbissen. Als der Hund ihn freigab und Calfee den Stab in den Händen drehte, war er überrascht: Der Stock war völlig unversehrt. Was für ein Material.
Die ersten hundert Rahmen waren Ausschuss
Der Rahmendesigner war elektrisiert. Er hatte gefunden, wonach er suchte. Das Messebike sollte einen Bambusrahmen bekommen. Das schnell wachsende Gras ist auf fast allen Kontinenten der Erde heimisch, auch in Nordamerika. Für sein erstes Rad verwendete Calfee kalifornischen Bambus. Der Rahmen geriet etwas zu flexibel, aber das Vorführmodell erfüllte seinen Zweck: Es erwies sich als ein Zuschauermagnet.
Nach der Messe verschwand Calfee in seiner Werkstatt und begann, mit Bambus zu experimentieren. Denn so umweltfreundlich und hart das Material auch ist, es hatte seine Macken. Sein größter Nachteil: Es splittert mitunter. Calfee räucherte die Rohre und bearbeitete sie mit Hitze. Heute dauert der Arbeitsprozess der absolviert werden muss, bis er die Rohre verwenden kann, vier Monate. Um die Teile zu verbinden, bestrich Calfee Hanffasern mit Epoxidharz und umwickelte damit die Rohrenden.
Hundert Rahmen später war es so weit. Calfee hatte einen Bambusrahmen erschaffen, der ihn überzeugte. Sein Urteil: „Die Vibrationsdämpfung ist beim Bambusrad besser als bei Carbonfasern. Es fährt sich viel geschmeidiger.“ Außerdem sei die Bruchfestigkeit der Bambusrahmens beeindruckend. „Wir haben unseren Rahmen in Deutschland bei der EFBe-Prüftechnik testen lassen“, sagt Calfee.
Dazu wurde der Rahmen langsam mit einem Prüfgewicht von 950 Kilo belastet und wieder entlastet. Das geschieht 100.000-mal. Das Ergebnis: weder Risse noch Bruchstellen. Die aufwendige Fertigung hat ihren Preis. Ein Mountainbike-Rahmen aus Bambus kostet bei Calfee knapp 2700 Dollar.
Räder für Entwicklungsländer
Mittlerweile hat Calfee diverse Preise für seine Bambusräder gewonnen. Unter anderem einen für das „Bicycle with the lowest carbon footprint“. Zunächst schien das Bambusrad eher etwas für betuchte Kalifornier mit Ökoflitz zu sein. Nun hat Calfee für seine Räder aber noch ein ganz anderes Einsatzgebiet entdeckt: Afrika. „Fahrräder sind in Entwicklungsländern enorm wichtig, um Waren zu transportieren oder um damit zur Schule und zum Markt zu fahren“, sagt er. Der Vorteil von Bambusrädern: Die benötigten Rohstoffe wachsen vor Ort.
Calfee gründete Bamboosero, eine Initiative, die unter anderem vom Earth Institute der Columbia University unterstützt wird, und Menschen in Entwicklungsländern zeigt, wie sie Fahrräder aus Bambus herstellen können. Das Ziel ist, dass sie anschließend vor Ort ihr eigenes Fahrradgeschäft eröffnen.
Im Februar 2008 unterrichtete Calfee mit einigen Helfern in Ghana drei Gruppen im Bau von Bambusrädern. Seitdem bauen die Ghanaer selbstständig Räder. Weitere Projekte in Zambia, auf den Philippinen, Uganda and Neuseeland folgten oder stehen kurz vor dem Abschluss.
Calfees neuestes Bamboosero-Projekt ist das Schulrad Bamboo School Bus Bike. Mit diesem Rad können sechs Kinder zur Schule fahren. Vorne sitzt ein Erwachsener und lenkt, die Kinder sind in der Mitte und der Steuermann sitzt hinten und bremst im Notfall. Treten müssen alle.
Im eigenen Land bekommt Calfee gerade Konkurrenz von Nick Frey. Der 22-jährige Princeton-Absolvent hat während seines Studiums mit Studienkollegen zwei Jahre lang verschiedene Bambusräder entwickelt. Jetzt lässt er sie von einem Geschäftspartner in Vietnam bauen und verkauft sie in Amerika. In Europa fertigt der Fotograf und Industriedesigner Bruno Mares einzigartig schöne Bambusfahrräder auf Nachfrage.
Der Deutsche Nicolas Meyer aus Osnabrück ist noch einen Schritt weiter gegangen. Der Ingenieur und Unternehmer brauchte im Sommer für einen Triathlon ein neues Rad. Da er beruflich täglich mit Faserverbundwerkstoffen experimentiert, konstruierte er eines aus Hanf.
Im Gegensatz zu den Bambusrädern ist die Optik seines Geschosses allerdings gewöhnungsbedürftig. Umringt von anderen Triathlonrädern wirkt es wie der dicke Obelix inmitten leichtfüßiger Tänzerinnen. Doch wie den massigen Gallier sollte man auch das Hanfrad nicht unterschätzen.
Rohstoff aus dem Blumenladen
„Es hat eine viel bessere Vibrationsdämpfung als ein Carbonrad“, sagt Meyer. Interessant ist sein Werkstoff-Mix. Hanf als Meterware aus einem Hanfhaus und Bambus aus dem Blumenladen, das sind die Zutaten für Meyers Bike. „60 Prozent Hanf, 15 Prozent Bambus, der Rest ist Carbon und Aluminium“, so der Ingenieur.
Der klobige Rahmen erklärt sich durch die Hanffasern. „Wer den Rahmen verstehen will, muss in Seilen denken“, sagt Meyer. Seile können Zugbelastung gut aufnehmen, bei Druck biegen sie sich. Damit sich das Sattelrohr, das aus zwei Rohren besteht, beim Fahren nicht verformt, umschließt ein drei Zentimeter breites Band die ovalen Rohre.
Mit einem Rohrdurchmesser von dreieinhalb bis zehn Zentimetern ist das Rad insgesamt wuchtiger als ein Carbon – oder ein Bambusrad. Der größere Durchmesser verleiht dem Rad mehr Steifigkeit. Meyer hat die Hanffasern in duroplastischem Epoxidharz getränkt und um einen Styroporrahmen gewickelt. Schwerer wird der Rahmen dadurch nicht. Er wiegt 1,4 Kilogramm. Damit ist er ungefähr so leicht wie ein guter Aluminiumrahmen.
„Ein Triathlonrad ist nie bequem“ gibt Meyer zu bedenken, aber sein Hanfrad sei viel komfortabler und vermindere die Vibrationen viel stärker als sein alter Rahmen. Das dürfte allerdings auch nicht besonders schwer sein. Meyers altes Triathlonrad war 30 Jahre alt – und aus Stahl.
Quelle: spiegel.de