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Hanf an Bord

Von Gregor Honsel

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Der Trabi als Vorbild: Kunststoffe mit Naturfasern werden für die Autoindustrie immer wichtiger. Und auch in anderen Industrien sollen das Material bald zum Einsatz kommen – seine Eigenschaften sind faszinierend.

Was haben Lastwagen, Mercedes S-Klasse und Trabant gemeinsam? Nicht viel, möchte man meinen. Doch alle drei enthalten erhebliche Mengen an naturfaserverstärkten Kunststoffen (NFK). Beim einst als „Rennpappe“ geschmähten Trabi wurde die gesamte Karosserie-Beplankung aus phenolharzverstärkten Baumwollfasern hergestellt – ebenso wie die Führerkabinen der meisten Lkw. Bei der aktuellen S-Klasse verteilen sich 43 Kilo Naturfaser-Kunststoffe auf 32 verschiedene Bauteile von der Türverkleidung bis zur Hutablage. Das sind 73 Prozent mehr als in der Vorgänger-Generation der S-Klasse und fast doppelt so viel wie in den unteren Mercedes-Baureihen.

 

Das Beispiel zeigt, dass Naturwerkstoffe – zumindest in der Autoindustrie – ihr Image als billige Notlösung abgelegt haben. „Der Trabi war seiner Zeit voraus“, meint Michael Carus, Geschäftsführer des nova-Instituts in Hürth bei Köln, das auf Beratung und Marktforschung rund um nachwachsende Rohstoffe spezialisiert ist. Auch bei Outdoor-Möbeln oder bei Bodenplatten für Terrassen haben sich Biofaser-Kunststoffe aus Holz-Polymer-Gemisch (WPC) etabliert. Doch jenseits dieser Bereiche ist NFK immer noch ein Exot.

Das soll sich nun ändern – spritzgusstaugliche NFK-Rezepturen visieren den Massenmarkt an. Dieses Verfahren wird von der Biofaser-Branche gern als „schlafender Riese“ tituliert, weil von der Handyschale bis zum Föngehäuse heute praktisch alle Kunststoff-Kleinteile per Spritzguss hergestellt werden. Stärker beanspruchte Spritzguss-Bauteile werden derzeit meist mit beigemischten Glasfasern verstärkt. Hier sehen Experten ein großes Potenzial für NFK – zumal Forscher an Naturfaser-Mixturen arbeiten, die an die Festigkeit und Steifigkeit von Glasfasern heranreichen.

Anspruchsvolle Lösungen ziehen den Preis hoch

Gründe dafür, Glasfasern durch Pflanzenfasern zu ersetzen, gibt es genug: Naturfasern verursachen bei der Verarbeitung keinen gesundheitsschädlichen Staub, sorgen für eine gute akustische Dämmung, schonen das Werkzeug, brauchen zu ihrer Herstellung nur ein Zehntel der Energie, splittern bei einem Crash nicht und sind bei gleichem Volumen leichter. Zudem schwanken ihre Preise nicht so stark wie die anderer Werkstoffe.

Bei der Autoindustrie kommt noch ein spezielles Herstellungsverfahren dazu, das NFK sogar wirtschaftlicher als konventionelle Kunststoffe macht: Die aus NFK gefertigten Verkleidungsteile bestehen typischerweise aus einem Filz aus kurzen Flachs- oder Hanffasern, die mit einer sogenannten Matrix aus (meist thermoplastischem) Kunststoff durchsetzt und in eine Form gepresst wurden. Das so entstandene Bauteil ist luftdurchlässig genug, um per Vakuumpresse mit Textilien oder Leder kaschiert zu werden. Bei herkömmlichem Plastik müssten dazu mitunter eigens Luftlöcher in das Bauteil gebohrt werden. Naturfasern sparen in diesem Fall also einen zusätzlichen Arbeitsschritt ein, was die höheren Materialkosten mehr als kompensiert.

Fallen solch spezielle Vorteile und die großen Stückzahlen der Autoindustrie weg, wird es wirtschaftlich hingegen schwer für das Öko-Material, das bisher vor allem von kleinen und mittleren Unternehmen vertrieben und verarbeitet wird. Technisch könne man zwar „Tausende“ anspruchsvolle Lösungen realisieren, sagt Michael Carus, „aber das zieht den Preis hoch“. Das Hauptproblem sei, dass man, um konkurrenzfähig zu sein, mit NFK-Kleinserien das gleiche Leistungs- und Preisniveau erreichen müsse, wie es die konventionelle Kunststoffverarbeitung bei Großserien schafft.

Das hat bisher auch den Naturfaser-Spritzguss ausgebremst. Naturfaser-Kunststoffe können zwar prinzipiell auf normalen Spritzgussmaschinen verarbeitet werden. Aber dass ein Hersteller einfach NFK-Granulat kauft, in seine Spritzgussanlagen einfüllt und loslegt wie gehabt, „so weit sind wir noch nicht“, bedauert Carus. So müssen die Anlagen in der Regel bei niedrigeren Temperaturen betrieben werden, um die Naturfasern nicht zu beschädigen. Dafür brauchen die Hersteller Schulung und Unterstützung vom Granulatlieferanten. „Das kann ein Mittelständler kaum leisten“, sagt der nova-Geschäftsführer.

Weitere Karriere hängt auch von der Politik ab

Doch nun ist, glaubt Carus, ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Massenmarkt erreicht: Mitte August nahm erstmals ein Großkonzern spritzgussfähiges NFK-Granulat in sein Angebot auf. Das saudische Unternehmen Sabic, einer der größten Kunststoffhersteller der Welt, bietet neuerdings gleich zwei Naturfaser-Kunststoffe an: Nylon (Polyamid) mit einem zwanzigprozentigen Anteil von Curauá-Fasern, einem Bromeliengewächs, sowie Polypropylen mit 30 Prozent Holzmehlanteil. Ersteres soll in der Lage sein, glasfaserverstärktes Nylon zu ersetzen, Letzteres natürliches Holz. „Auf diesen Schritt haben wir zehn Jahre lang gewartet“, sagt Carus. Er hofft, dass die Marktmacht des Branchen-Schwergewichts zu entsprechenden Stückzahlen und damit zu sinkenden Preisen führt.

Auch im Highend-Bereich sind NFK technisch durchaus konkurrenzfähig. Lediglich bei der Schlagzähigkeit – also der Fähigkeit, harte Stöße zu verkraften – haben NFK Schwächen. Das liegt daran, dass die am häufigsten verwendeten Verstärkungsfasern wie Flachs oder Hanf aus dem Bast der Pflanze gewonnen werden, der die Stängel und Blätter stabilisiert. Solche Fasern können hohe Zugkräfte aufnehmen, sind aber wenig elastisch. Doch auch hier hält die Natur Lösungen bereit: Fasern, die aus der Frucht von Pflanzen gewonnen werden, wie etwa Baumwolle oder Kokos, verfügen über deutlich höhere Dehnbarkeit. „Mit diesem Spektrum der Natur kann man relativ gut spielen“, sagt Jörg Müssig, Professor für Biologische Werkstoffe an der Hochschule Bremen. Mit einer Mischung aus Bast- und Fruchtfasern ließe sich die gewünschte Werkstoffeigenschaft gezielt einstellen. Solche Ansätze sind aber noch in der Forschungsphase.

Die weitere Karriere der NFK ist auch von der Politik abhängig. Denn bisher wurde allein die „energetische Nutzung“ – sprich: Verbrennung – von nachwachsenden Rohstoffen gefördert, wie Carus klagt, wodurch ein Konkurrenzkampf etwa um Sägemehl entstehe. Anfang September beschloss das Bundeskabinett einen „Aktionsplan zur stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe“. Das Konzept klingt eher vage: Die Standardisierung solle unterstützt, die Forschung verbessert, die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft vorangetrieben werden. Für Carus ist das aber immerhin „ein erster wichtiger Schritt, die stoffliche Nutzung verstärkt ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken“.

© Technology Review, Heise Zeitschriften Verlag, Hannover

Von cannabinus

Gebt den Hanf Frei!!!