Heinrich Emanuel Merck
Der in Darmstadt in Deutschland geborene und gestorbene Unternehmer und Pharmazeut Heinrich Emanuel Merck (1794-1855) ist der Gründer und wohl bedeutsamste Vertreter des bekannten Pharma-Unternehmens Merck. Die Merck KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien) ist das weltweit älteste pharmazeutische Unternehmen. Nach seinem Pharmaziestudium in Berlin und Wien begann er 1816, bedingt durch den Tod des vorübergehenden Pächters, seine Arbeit in der Apotheke (Engel Apotheke) seines bereits verstorbenen Vaters in Darmstadt und übernahm dort die Geschäftsführung. Neben seiner Tätigkeit in der Apotheke und der Sanierung ebendieser, befasste er sich mit der Erforschung pflanzlicher Naturstoffe. Ihm gelang es, Alkaloide zu isolieren und in ihrer Reinform darzustellen. Alkaloide sind in Pflanzen vorkommende, natürliche, chemisch heterogene, organische und meist alkalische Verbindungen des sekundären Stoffwechsels, welche aufgrund ihrer Wirkung auf den menschlichen (und tierischen) Körper zu Mercks Zeit von zentralem wissenschaftlichem Interesse waren. 1827 begann Heinrich Emanuel Merck Alkaloide im großen Stil herzustellen, welche er aus Opium gewann und an Ärzte, Chemiker und Pharmazeuten weiterverkaufte. Zeitgleich konzentrierten sich seine Forschungen auf Cannabis und dessen Eigenschaften. Seine Cannabis-Tinkturen und die Herstellung von Morphium und im Folgenden auch von Kokain machten Merck und seine Präparate sehr populär. Während die Literatur über Mercks Forschungen zu Morphium und Kokain ausgezeichnet dokumentiert ist, sind leider kaum noch Quellen zu seinen Studien bzgl. Cannabis vorhanden, v. a. , da zahlreiche Niederschriften mehreren Bombardierungen des Familien- und Werksarchivs im Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Diese wären heute, wo der medizinische Einsatz von Hanf als natürliches Mittel wieder ins Zentrum des Interesses gerückt ist, von großem wissenschaftlichem, Erkenntnis bringendem Wert. Ab dem Jahr 1850 übergab Emanuel Merck die Leitung des Unternehmens an den Zweitgeborenen seiner drei Söhne Georg Franz Merck (1825–1873), welcher das Unternehmen mit seiner geschickten Geschäftspolitik und den Arzneien Morphium und den Cannabis-Tinkturen zu großem Erfolg führte. 1854 jedenfalls gelangt Cannabis erstmals in den Listen für Roh- und Hilfsstoffen. Nur ein Jahr später, 1855, werden die Forschungsergebnisse von Georg Martius im Nachschlagewerk „Pharmakologisch-medicinische Studien über den Hanf“ veröffentlich, in welchem er sich auf Mercks Kenntnisse stützt. Das deutsche Heer war im deutsch-französischen Krieg (1870/1871) im Streit um die spanische Thronfolge und danach, der Morphium-Hauptabnehmer. Für die Bekämpfung der enormen Schmerzen der vielen Kriegsverwundeten waren die Cannabis-Tinkturen schlichtweg zu schwach. 1883 hebt Emanuel August Merck, der Enkel von Heinrich Emanuel Merck, bei der „ Internationalen Ausstellung Chemischer Praeparate“ die Besonderheit des Unternehmens hervor: Es produziere narkotische Mittel aus indischem Hanf und führe diese in die Medizin ein.
Das 1882 auf den Markt gekommene Cannabinum tannicum, welches als Aphrodisiakum, als Schlaf- und Schmerzmittel und als Mittel zur Behandlung von Rheumatismus, Psychosen, Neuralgien, Depressionen, Hysterie, Delirium tremens, etc. eingesetzt wurde, wurde 1884 bei der pharmazeutischen Ausstellung als Cannabis-Medikament vorgestellt, welches frei von Opiaten und deren negativen Eigenschaften sei. Zu diesem Zeitpunkt beschloss Merck: „das Mittel zum Gemeingut auch der ärmeren Klassen zu machen“, indem das Unternehmen den Verkaufspreis hinunterschraubte. Bei der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte 1886 war in einer Broschüre über den breit gefächerten Einsatzbereich des Cannabinum tannicum zu lesen. 1887 vertreibt Merck bereits fünf Cannabis-Präparate. Ende der Achtziger wurde aus dem kleinen Unternehmen, welches sich aus der maroden Engel Apotheke in Darmstadt entwickelt hatte, zu einer bedeutenden Firma mit Weltruhm, bedeutenden Handelskontakten und Werken beispielsweise in London, aber auch New York. Zu diesem Zeitpunkt war das Unternehmen bereits dabei, ein Extractum Cannabis indicae pinque zu entwickeln, welches Schmerzgefühle beseitige und zeitgleich den Appetit wieder herstelle und zu einer Zunahme des Körpergewichtes führe. Von diesem sogenannten „Haschischin“ waren 5 Gramm in 95 Gramm Butter (oder Cacao) zu lösen und von diesem Gemisch eine maximale Dosierung von 0,05 Gramm einzuhalten, da es sonst zu einem unerwünschten „Hanfrausch“ kommen könne. 1895 bringt Merck das Extractum Cannabis indicae aquosum fluidum auf den Markt. Das aus den blühenden Zweigspitzen der weiblichen Pflanzen des Indischen Hanfes (Cannabis indica) gewonnene Extrakt sollte neben den bisherigen Anwendungenbereichen nun zudem noch bei der Behandlung diverser Lungenkrankheiten, allen voran TBC, hilfreich sein. Es lindere Hustenanfälle und wirke stimulierend und erheiternd. 1909 wird das bereits seit Längerem bekannte Extractum Cannabis indicae pinque erneut empfohlen, und zwar zur Linderung von Blähungen („Gasbeschwerden“) und zur Minderung möglicher Schmerzen beim Stuhlgang. Über die möglichen Ursachen kann nur spekuliert werden, nach 1909 jedenfalls ist über all diese Cannabis-Präparate des pharmazeutischen Unternehmens Merck nichts mehr zu finden. Warum indischer Hanf für die Pharma-Industrie an Bedeutung verlor, ist nicht ganz klar. Zum einen dürfte es wohl an seiner nicht gerade einfachen und unkomplizierten Dosierbarkeit liegen. Auch war die Lagerung in Alkohol nicht allzu lange möglich, da sich darin die Wirkstoffe nach einer Zeit verflüchtigten. Des Weiteren überschwemmten dann auch die modern gewordenen synthetischen Medikamente den pharmazeutischen Markt. Sie ermöglichten eine gezieltere und besser dosierbare Einsetzbarkeit entsprechend der vorhandenen Symptome. Spätestens aber seit Anfang des 20. Jahrhunderts, mit der Einführung des entzündungshemmenden, fiebersenkenden, schmerzstillenden und thrombozytenaggregationshemmenden Aspirins durch den Bayer-Konzern, war der medizinische Hanf dem (vorübergehenden) Untergang geweiht.